Friesenschnee
erlitten haben musste, dennoch, er musste sie dringend vernehmen. »Wo liegt sie denn jetzt?«
Die Stationsschwester kämpfte sichtlich mit sich, ob sie diese Information preisgeben wollte, aber sie ließ sich schließlich erweichen. »Jetzt liegt sie apathisch im Aufwachzimmer, da wird sie die nächsten 24 Stunden auch bleiben. Sie wirkt, als wenn das Leben aus ihr gewichen wäre, wenngleich sie sich nach den Aussagen der Ärzte physisch auf dem Weg der Besserung befinden soll. Wir haben bereits Kontakt mit den Kollegen vom psychologischen Dienst aufgenommen, die sie betreuen werden, sobald sich ihr Zustand stabilisiert hat. Diese Apathie tritt nicht selten nach Überfällen auf.«
Hansen hakte nach. »Sie meinen eine Sexualtherapie?«
Die Schwester sah ihn erstaunt an. »Wie kommen Sie denn darauf? Nein, ich meine die übermäßig brutale Gewalteinwirkung mit dem Knüppel auf ihrem Schädel. Einen sexuellen Übergriff hat der Professor laut Krankenakte ausgeschlossen. Das hat doch auch seine Sekretärin schon Ihrem Kollegen vom Spurendienst telefonisch übermittelt.«
Richtig. Fingerloos hatte davon gesprochen. »Der Professor ist nicht für mich zu sprechen?«
»Wohl kaum, der ist heute Morgen völlig erschöpft nach Hause gefahren. Lassen Sie ihn schlafen, was soll er Ihnen denn mehr erzählen, als in der Krankenakte steht? So richtig sprechen hat Frau Kramer hier noch mit keinem können, so, wie die zugerichtet war.« Die Schwester zuckte bedauernd die Schultern.
Hansen sah ein, dass hier nichts mehr zu machen war. Er verabschiedete sich und verließ die Station. Er hätte gerne selbst mit Fingerloos gesprochen, aber viele Piktogramme wiesen darauf hin, dass das Handyverbot selbst auf den weitläufigen Fluren galt. Schließlich entdeckte er eine kleine Kantine. Er entschied sich, einen Kaffee zu holen, und suchte sich einen freien Platz. Wenig später nahm am Nebentisch ein Mann Platz, den er nur zu gut kannte. Hansen schnappte sich seinen Kaffee und rückte hinüber. »Ah, der Kollege Kramer. Tut mir leid wegen neulich, aber unser neuer Polizeidirektor hatte mir mächtig Dampf gemacht. Kann ich das mit einem Kaffee wiedergutmachen?«
Kramer blickte nicht auf. Erst nach einer Weile brach er sein Schweigen. »Nein, danke. Da ist nichts gutzumachen. Sie haben nur Ihre Pflicht getan, Kommissar. Ich habe doch selbst geglaubt, diesen Schurken umgelegt zu haben. Wie das Leben so spielt. Dabei wäre mir wohler, wenn er durch meine Kugel gestorben wäre.«
Hansen entschied, Kramer nicht vom neuesten Ermittlungsstand in Kenntnis zu setzen, sondern von Halbedel abzulenken. »Dann hätte Ihre Tochter aber nicht mehr viel von Ihnen gehabt.«
Die Antwort von Kramer klang schroff. »Falsch, Kommissar. Was habe ich denn jetzt von meiner Tochter außer einem Klumpen malträtiertes Fleisch. Haben Sie sie nicht gesehen?«
Hansen schüttelte schweigend den Kopf.
Kramer fuhr fort. »Ich habe gestern lange bei ihr am Bett gesessen und auf sie eingeredet. Sie scheint sich an nichts erinnern zu können. Das Einzige, worauf sie reagiert, ist der Tod ihrer kleinen Schwester. Das ist nun aber schon mehr als 20 Jahre her.«
An dieser Stelle hakte Hansen ein. »Bei der Vernehmung am Samstag haben Sie ausgesagt, dass sich Kerstin Vorwürfe wegen des Todes ihrer kleinen Schwester gemacht hat.«
Kramer ging tief in sich, bevor er leise zu sprechen begann. »Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen. Die beiden waren auf dem Weg zum Einkaufen. Kerstin passte auf die Lütte auf. Das machte sie gut, aber sie wurde durch eine Auslage im Spielzeuggeschäft abgelenkt. In diesem Moment ist der Ball unserer Lütten auf die Straße gerollt. Wie Kinder so sind, ist sie hinterher, bevor Kerstin das mitbekommen hat. Der beladene Kieslaster, der viel zu schnell unterwegs war, war ein 40-Tonner. Kerstin hat das nie verwunden.«
Hansen nickte betreten. »Sie haben gestern mit ihr darüber gesprochen, richtig?«
Kramer zögerte mit der Antwort, aber er schien ihm zu vertrauen. »Ja. Ich habe den Eindruck, dass Kerstin im Unterbewusstsein denkt, dass der Kieslaster jetzt auch sie erwischt hat und dass daher ihre Verletzungen stammen. Sprechen konnte sie gestern nicht. Heute vermutlich erst recht nicht nach dieser schweren Operation. Es ist furchtbar.«
Dem musste Hansen zustimmen. »Sagen Sie, Kollege Kramer, damals nach dem Unglück, hat sich bei Ihrer Tochter etwas im Wesen verändert?«
Kramer nickte nachdenklich. »Natürlich,
Weitere Kostenlose Bücher