Frisch getraut: Roman (German Edition)
gestürzt. Die Fahrt zur Kirche nahm sie nur verschwommen wahr, und den Rest des Tages hatte sie in dieser rosafarbenen Quaste von Kleid rumlaufen und lächeln müssen, als sei ihr Leben nicht gerade völlig aus den Fugen geraten und komplett zusammengebrochen.
Als Lucy ihr Ehegelübde ablegte, brach es Clare das Herz. Sie hatte vorn in der Kirche gestanden und gelächelt, während ein Gefühlssturm in ihr wütete, bis sie sich vollkommen leer fühlte und außer dem heftigen Schmerz in ihrer Brust nichts mehr spürte. Während des Hochzeitsempfangs hatte sie krampfhaft die Mundwinkel nach oben gezogen und auf das Glück ihrer Freundin angestoßen. Sie hielt es für ihre Pflicht, einen angemessenen Toast auszubringen, was sie auch tat. Sie wäre lieber gestorben, als Lucys Ehrentag mit ihren Problemen zu verderben. Sie durfte nur nicht zu viel trinken, obwohl ein Gläschen Champagner nicht schaden könnte. Es war ja nicht so, als würde sie sich puren Whisky hinter die Binde kippen.
Sie hätte nicht auf sich hören dürfen.
Bevor sie am Morgen nach Lucys Hochzeit mit hämmerndem Kopf die Augen aufschlug, beschlich sie ein Déjà-vu-Gefühl, das sie seit Jahren nicht mehr gehabt hatte. Durch verquollene Augenlider blinzelte Clare in das Morgenlicht, das durch einen breiten Spalt in den schweren Vorhängen auf das goldbraune Federbett fiel, das schwer auf ihr lag. Panik schnürte ihr die Kehle zu, und sie fuhr entsetzt hoch. Ihr Puls hämmerte in ihren Ohren. Das Federbett glitt von ihren nackten Brüsten auf ihren Schoß.
Im helleren Teil des Raums fiel ihr Blick auf das riesengroße Bett, einen Hotelschreibtisch und zwei Wandlampen. Im Fernsehschrank ihr gegenüber liefen gerade die Sonntagmorgen-Nachrichten, die so leise gedreht waren, dass man den Ton kaum hörte. Das Kissen neben ihr war leer, doch die schwere silberne Armbanduhr auf dem Nachttisch und das Rauschen
laufenden Wassers hinter der geschlossenen Badtür verrieten ihr, dass sie nicht allein war.
Sie stieß das Federbett weg und sprang aus dem Bett. Zu ihrer Bestürzung trug sie vom Tag zuvor nichts mehr außer dem Spritzer Escada und dem pinkfarbenen String-Tanga. Sie schnappte sich das pinkfarbene Bustier vom Boden und schaute sich hastig nach ihrem Kleid um. Es lag neben einer verblichenen Levi’s über einer kleinen Couch.
Kein Zweifel, sie hatte einen Rückfall gehabt, und genau wie bei den wenigen Fehltritten vor Jahren konnte sie sich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr an die wichtigen Details erinnern.
An Lucys Hochzeit in der St. John’s Cathedral und den anschließenden Empfang im Double-Tree-Hotel erinnerte sie sich noch. Auch daran, dass ihr der Champagner noch vor der ersten Trinkspruchrunde ausgegangen war und sie sich mehrmals hatte nachschenken lassen müssen. Und dass sie ihr Champagnerglas gegen ein herkömmliches mit Gin Tonic eingetauscht hatte.
Doch danach erinnerte sie sich nur noch bruchstückhaft. Durch einen alkoholisierten Dunstschleier meinte sie sich zu entsinnen, auf dem Empfang getanzt zu haben, und sie hatte eine vage, beschämende Erinnerung daran, »Fat Bottomed Girls« gesungen zu haben. Irgendwo. Bilder von ihren Freundinnen Maddie und Adele blitzten auf, die im Hotel ein Zimmer für sie gemietet hatten, damit sie ihren Rausch ausschlafen konnte, bevor sie nach Hause fahren und Lonny gegenübertreten musste. Die Hotel-Minibar. Hatte sie noch unten in der Bar gesessen? Vielleicht. Dann nichts mehr.
Clare schlang sich das Bustier um die Taille und mühte sich
ab, die Haken zwischen ihren Brüsten zu schließen, während sie sich durch den Raum auf die Couch zubewegte. Auf halber Strecke stolperte sie über eine pinkfarbene Satinsandale. Ihre einzige glasklare Erinnerung war die an Lonny und den Handwerker.
Ihr Herz zog sich zusammen, doch sie hatte keine Zeit, länger über den Schmerz und ihre totale Fassungslosigkeit nachzudenken. Lonny würde sie sich später vorknöpfen, doch zuerst musste sie raus aus diesem Hotelzimmer.
Das Korsett zwischen ihren Brüsten nur halb zugehakt, griff sie nach dem pinkfarbenen Etwas von Brautjungfernkleid. Sie warf es sich über den Kopf, kämpfte sich durch meterweise Tüll und wand und schlängelte sich, bis es endlich um ihre Taille hing. Völlig außer Atem schob sie die Arme durch die Spaghetti-Träger und griff nach dem Reißverschluss und den kleinen Knöpfen auf ihrem Rücken.
Das Wasser wurde abgedreht, und Clares Blick schoss zur geschlossenen Badtür. Sie
Weitere Kostenlose Bücher