Frischluftkur: Roman (German Edition)
Verdacht auf, dass Edith manche Teile extra mit einer Schmuddelschicht überzogen hat. In einer solchen Küche würde Petra doch niemals Besuch empfangen!
Doch was bleibt ihr übrig? Tina, Marlies und Hanna drängen schon hinein, die Gläser mit Caipi-Bowle in der Hand. »Ohhh!« und »Ahhhh!« sagen sie, als sie sich umsehen. Petra weiß nun wirklich nicht, wie das gemeint ist.
Hanna streicht mit ihrem rechten Zeigefinger über die sauberen Segmente der Arbeitsfläche und nickt anerkennend. »Das Zeug taugt was«, sagt sie.
»Das will ich wohl meinen!«, bestätigt Edith. »Und jetzt, meine Lieben, möchte ich euch alle Fresh&Clean-Produkte im Ernstfall vorführen! Wir werden sogar die von eingebranntem Fett blind gewordene Backofentür wieder zum Blitzen bringen!«
»Moment!«, ruft Petra. »Wir brauchen erst noch ein bisschen Bowle!« Sie läuft schnell ins Wohnzimmer, holt den großen Krug und schenkt allen nach. »Jetzt kann es losgehen.«
»Backofen auf!«, befiehlt Hanna vergnügt.
Edith schüttelt eine Flasche mit der Aufschrift CrustFighter und sprüht die heruntergeklappte Backofentür mit einem grün-blau-metallic schimmernden Schaum ein. Dann wirbelt sie herum und bearbeitet alle anderen schmutzigen Flächen mit diversen Fresh&Clean-Innovationen. Die anderen Frauen schauen ihr gebannt dabei zu und lauschen ihrem Vortrag, der mit Schlagwörtern wie »Gleichberechtigung«, »gelebte Selbstbestimmung« und »praktizierter Feminismus« gespickt ist, während der verteilte Schaum leise vor sich hinblubbert und aromatische Dämpfe ausdünstet.
»Willst du das nicht mal wieder abwischen?«, fragt Hanna und greift reflexartig zu einem der Mikrofasertücher.
»Auf keinen Fall!«, herrscht Edith sie streng an. »Das muss erst einwirken! Wir müssen warten, bis sich die volle Schmutzlösekraft entfaltet hat.«
»Und wie lange dauert das?«, fragt Petra, die daran denkt, dass die geöffnete Backofentür die Küchentür versperrt und man die Küche, die nur ungefähr acht Quadratmeter groß ist und keinerlei Komfort bietet, geschweige denn Sitzmöglichkeiten, nicht verlassen kann.
»Nur dreißig Minuten«, sagt Edith ganz ruhig.
»Was? Was?« Hanna schnappt nach Luft. »So lange?« Sie kann es kaum aushalten, neben all diesen verlockenden, verführerischen Putztüchern und Putzmitteln zu stehen und diese nicht anfassen zu dürfen. Die Dinger üben eine geradezu magische Anziehungskraft auf sie aus.
»Mir wird schon ganz heiß«, stöhnt Tina und lüpft ihr T-Shirt ein wenig, damit man ihren trainierten, flachen Bauch sehen kann. Es gucken auch alle hin. Doch statt Neid verspüren sie ... ja, was eigentlich? Auf jeden Fall diese schlagsahnige Leichtigkeit.
»Na dann«, sagt Marlies, weil ihr nichts Besseres einfällt, sie aber den für sie ausgesprochen ungewöhnlichen Impuls verspürt, etwas von sich geben zu wollen. »Soso.«
»Habe ich euch schon meinen neuen Ring gezeigt?« Tina streckt ihre Hand gen Küchenmitte aus, damit alle das Prachtstück bewundern können. »Echt Platin! Mit aufgesetzten Saphiren und Rubinen! Den hat mir mein Mann von einer Geschäftsreise aus Baden-Baden mitgebracht.«
»Ahhhh!«, staunen alle.
»Ein ungewöhnliches Schmuckstück«, sagt Petra. Das heißt soviel wie: Mein Geschmack ist das bunte Ding nicht. Aber das würde sie natürlich nie sagen.
»Das ist das Schönste, was ich je gesehen habe!«, haucht Marlies und denkt daran, dass ihr noch nie jemand Schmuck geschenkt hat.
»Ringe sind mir viel zu unpraktisch. Ich trage lieber so etwas«, sagt Hanna und zeigt auf ihre Perlen-Ohrstecker. Erbstücke von ihrer Oma. Von ihrem Mann hat sie zum Geburtstag ein elektrisches Messer bekommen.
»Drachenfutter«, sagt Edith trocken.
»Wie meinst du das denn?«, entfährt es Tina. Petra verlängert die zur Neige gehende Bowle schnell und unauffällig mit Bacardi und schenkt allen nach.
»Dein Mann hat dir den Ring geschenkt, um dich in Sicherheit zu wiegen. Um dich ruhig zu stellen. Bist du sicher, dass er auf Geschäftsreise war? Kein Mann, der noch halbwegs seinen Verstand beisammen hat, bringt einen solchen Ring von einer Geschäftsreise mit.« Sie spielt ein bisschen an der Orange-Wonder- Flasche herum, der intensive Duft verbindet sich mit der raumfüllenden Melange aus Aromadämpfen. »Bist du dir sicher, dass der echt ist?«
»Platin mit Saphiren und Rubinen«, meldet sich Petra nun doch zu Wort, »das passt doch überhaupt nicht zusammen.«
»Stimmt«, sagt Marlies.
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