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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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weder
protestieren noch ihn abwehren. Ihr fehlte die Kraft, um selbst den Kopf zu
heben. Er biss und zerrte und riss sie auseinander, und sie konnte es bloß
passiv hinnehmen. Sie war allem entrückt.
    Irgendwie wusste sie, dass er sie nicht tötete.
    Dass er sie rettete.
    Als er fertig war, als das ganze Silber aus ihrem Körper gerissen
und zur Seite geschleudert worden war, atmete sie etwas leichter, und dann
versank sie in einen unruhigen Schlaf. Er wachte die ganze Nacht über sie,
heulte gelegentlich den Mond an, der seine Bahn am Nachthimmel zog.
Gelegentlich leckte er ihr das Gesicht und die Ohren, um sie zu wecken, um zu
verhindern, dass sie aus dem Dasein verblich. Als er sie einmal nicht wach
bekam, packte er sie im Nacken und schüttelte sie wild, bis sich ihre Augen
öffneten, die Zunge aus der Schnauze schob und sie ein empörtes Wimmern von
sich gab.
    Als der Mond hinter den Häusern von Port Radium versank, war sie
froh darüber. Zum allerersten Mal war die Wölfin für die Verwandlung dankbar.
    Chey erwachte zusammengekrümmt,
nackt, frierend, hungrig und schmerzerfüllt, aber sie lebte. Sie hob den
linken Arm und entdeckte weder Blut noch eine Schussverletzung. Sie tastete den
ganzen Körper ab, fand nur glatte, unversehrte Haut.
    Ihr dröhnte der Schädel, aber sie setzte sich auf. Sie hatte keine
Ahnung, was während der Nacht geschehen war. Aber irgendwie wusste sie, dass
Bobby tot war. Die genauen Umstände waren nicht greifbar, aber diesbezüglich
war sie sich sicher.
    »Hier«, sagte Powell und warf ihr eine Decke zu. Er hatte die ganze
Zeit hinter ihr gestanden. Selbst in eine Decke gewickelt, setzte er sich neben
sie, dicht genug, dass sein Körper sie ein wenig wärmte. Sie rückte näher an
ihn heran, nahm seinen Arm und legte ihn sich um die Schultern.
    Es schien ihn zu überraschen, als sie ihn an sich zog. »Hast du mir
verziehen?«, fragte er.
    »Niemals«, antwortete sie ehrlich.
    »Aber die Beziehung zwischen uns hat sich verändert.«
    Sie hob die Schultern. Aber das reichte nicht. »Ja«, sagte sie. »Ich
will bei dir bleiben. Ich will nicht länger allein sein.«
    »Dagegen ist nichts einzuwenden«, erwiderte er.
    Die Sonne hatte den halben Weg zum Zenit zurückgelegt, als sie sich
wieder bewegten. Beide hörten ein Geräusch,
ein vertrautes und unwillkommenes Geräusch. Das Geräusch, das ein
Hubschrauber verursachte, wenn er die Luft aufwühlte. Beide zogen die
Wolldecken enger um den Körper, dann sprangen sie auf und begaben sich um die
Seite des verlassenen Hangars, blieben aber in den Schatten.
    Ein großer Hubschrauber mit zwei Rotoren passierte die Gebäude von
Port Radium. Chey erkannte das auf der Unterseite aufgemalte Symbol, ein rotes
Ahornblatt in einem blauen Kreis. Sie hatte auch das Gefühl, genau zu wissen,
wer der Passagier war.
    Bevor Powell sie daran hindern konnte, rannte sie auf den Parkplatz
und winkte dem Hubschrauber zu. Der Pilot ließ ihn eine Kurve beschreiben und
setzte keine zwanzig Meter weit entfernt sanft auf. An der Seite öffnete sich
eine Luke, Soldaten in blaugrauen Uniformen sprangen heraus. Ihnen folgte ein
Mann. Sein dunkelblauer Anzug wirkte wie eine Uniform, war es aber nicht. Der
Mann lebte im Ruhestand und war nicht einmal Kanadier.
    Der Lärm der Rotoren verhinderte, dass Chey etwas verstand. Onkel
Bannerman gab den Soldaten ein Zeichen, und alle blieben zurück. Dann lief er
auf sie zu und blieb erst stehen, als sie die Hände ausstreckte und ihn warnte,
nicht näher zu kommen. »Hör zu«, sagte sie,
»ich bin okay. Alles ist in Ordnung. Aber ich werde mich bald
verwandeln.« Sie fühlte den Mond am Horizont zittern. In fünfzehn Minuten würde
er aufgehen, vielleicht auch schon früher. Sie
wusste nicht, ob die vor dem Hubschrauber in Formation angetretenen
Soldaten Silberkugeln hatten. Und sie wollte es auch nicht herausfinden. »Du
musst gehen.«
    Er starrte ihr unverwandt in die
Augen. So wie er es immer getan hatte. Dann warf er einen Blick auf Powell, der
lässig im schattenverhüllten Hangareingang stand. Bannerman musterte Powell
eine Sekunde lang und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf sie.
    »Ist er …?«, fragte er.
    Der Lykanthrop, der meinen Bruder fraß, deinen
Vater . Sie las die Worte von den Augen ihres Onkels ab.
    »Ja«, erwiderte sie.
    »Ich habe Ausrüstung dabei. Ich bringe dich sicher unter. Ich
hindere dich daran, Menschen zu verletzen«, sagte er. Es war eine Frage.
    Sie konnte sich denken, von

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