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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Marriott
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einzureden, dass es nur die Genugtuung des Wolfes war, die ich erlebte, das Hochgefühl, das Schmerz und Gewalt bei ihm auslösten. Aber auch das war eine Lüge. Ein Teil von mir hatte genossen, was der Wolf mit meinem Körper tat. Ein Teil von mir hatte diese Jungen verletzen wollen. Hatte sie so sehr verletzen wollen, wie sie mich verletzt hatten.
    Zurückblickend will ein Teil von mir das immer noch.
    Die Männer nahmen die Ketten von einer Pflugschar und wickelten sie um die Gliedmaßen des Wolfes. Sie schleiften ihn durch das Dorf, warfen ihn in die kleine Scheune des Ältesten Gallen und ließen ihn dort zurück.
    Lange Zeit wehrte sich der Wolf gegen die Ketten. Doch er war nicht stark genug, um sie zu sprengen, noch nicht. Schließlich verließen ihn wohl die Kräfte. Der Wolf gab den Kampf auf und schlief ein.
    Und ich wachte auf.
    »Ihrem Kopf ist nichts passiert, aber sie wird sich ganz schön leidtun, wenn sie aufwacht. Musstest du wirklich so hart zuschlagen, vor allem so kurz nach dem ersten Mal?« Die Stimme klang weiblich. Sie klang alt und ein bisschen brummig – nach jemandem, der es gewohnt ist, Befehle zu erteilen.
    »Ich habe dir doch gesagt, dass ich damit nichts zu tun habe. Sie hat sich den Kopf selbst an der Tür angeschlagen.« Das war der Ziegenhirte, seine Worte klangen hart und scharfkantig wie Steine.
    »Nachdem du die Beine unter ihr weggetreten hast. Ja.«
    Es folgte eine kurze Pause und dann eine andere Stimme, die Stimme des Mannes, der mich festgehalten und mir befohlen hatte, aufzuhören zu kämpfen. »Sie hat versucht wegzulaufen, Livia. Arian hat nur seine Pflicht getan.«
    »Ich glaube, sie kommt zu sich«, sagte die Frau. »Heilige Urmutter, sie ist doch bloß ein Kind. Kann nicht älter als sechzehn sein.«
    »Sieb… siebzehn …«, murmelte ich. Meine Lippen fühlten sich trocken und geschwollen an.
    »Ach ja? Nun, für mich bist du damit immer noch ein Säugling, Mädchen. Mach jetzt die Augen auf.«
    Ich versuchte wie selbstverständlich ihr zu gehorchen, denn ihr Tonfall ähnelte den unmissverständlichen Anweisungen meiner Mutter. Das Licht ließ mich zusammenzucken, doch dann legte mir jemand etwas Nasses, Kaltes auf die Stirn und ich seufzte. Es roch nach Kräutern – Pflanzen, deren Namen ich einmal gekannt hatte, bevor meiner Mutter klar geworden war, was ich war, und sie mich aus ihrer Vorratskammer verbannt hatte. Danach hatte es keinen Sinn mehr gehabt, mir die Namen zu merken.
    Eine Frau beugte sich über mich. Sie hatte helle Haut, war aber stark gebräunt; den feinen Fältchen um ihre Augen und den Mund nach musste sie Mitte sechzig sein. Eisengraues Haar löste sich aus einem unordentlichen Knoten in ihrem Nacken. Auf der einen Seite ihres Gesichts hatte sie ein seltsames Mal, einen bläulichen Fleck, der sich um ihr linkes Auge bis zu ihrem markanten Wangenknochen zog. Eine Tätowierung. Ich kniff die Augen zusammen, um sie genauer zu betrachten. Sterne. Winzige Blumen. Ein Kaninchen – nein, ein Hase, der zu den Sternen über der grauen Braue hinaufstarrte.
    »Was du da angaffst, ist mein Heilerinnenzeichen«, sagte die Frau munter. »Wenn du genug erkennen kannst, um zu gaffen, ist mit deinen Augen vermutlich alles in Ordnung.«
    »Wo …?« Meine Stimme versagte und wurde zu einem trockenen Husten. Mein Kopf pochte, ich stöhnte leise.
    »Hier.« Der zweite Mann sprach wieder. »Gib ihr das zu trinken.«
    Die Frau hielt einen Holzbecher an meine Lippen. Ich nippte und schnappte nach Luft, als es heiß meine Kehle hinunterrann. Mein Kopf wurde ein wenig klarer. Ich schaffte es, »Danke« zu flüstern.
    »Nun, du hattest Recht, Arian«, sagte die Frau und zog eine Augenbraue hoch. »Sie ist eine wild mordende Berserkerin, das merkt man sofort. Ich hätte dich nicht darum bitten dürfen, ihre Handschellen aufzuschließen.«
    Handschellen aufschließen? Ich hob die Hände – meine Armmuskeln zuckten kraftlos – und war erleichtert, als ich feststellte, dass die Ketten verschwunden waren. Ich sah auch, dass meine verwundete Hand mit einem sauberen Tuch verbunden worden war.
    »Wo bin ich?«, krächzte ich.
    »Du bist im Lager der königlichen Berggarde und wieder in der Zelle, aus der du vor ungefähr zehn Minuten fliehen wolltest«, sagte die Heilerin. »Ich bin Livia und diese beiden sind Hauptmann Luca und sein Leutnant, Arian.« Sie tätschelte meinen Arm, dann erhob sie sich mit einem Ächzen.
    »Geh nicht«, flüsterte ich und umklammerte ihre Hand.

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