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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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schrie.
    Tamsin!
    Maus bog in den letzten Korridor. Die beiden Säulen am Eingang der Suite standen noch unversehrt da, aber das Relief des brüllenden Bären über der Tür war mitsamt dem Dach fortgerissen worden. Ein paar Balkenreste fingerten dunkel in den Himmel. Um verbogene Eisenstangen oben auf der Mauerkrone zuckten hellblaue Blitze, wanderten auf und ab und verpufften zu feinem Funkenregen.
    Maus blieb in der Tür der Suite stehen und blickte mit klopfendem Herzen in den Vorraum. Der Schnee fiel dicht genug, um bald die Spuren zu überdecken, die von hier aus ins Schlafzimmer führten. In der Mitte des Vorzimmers lag Tamsins Lederkoffer, weit aufgeklappt und ohne Inhalt, soweit Maus das vom Eingang aus erkennen konnte.
    Sie nahm all ihren Mut zusammen, trat ein und ging zuerst zum Koffer hinüber. Er war leer, tatsächlich, aber die Innenwände sahen aus, als wäre bis vor kurzem etwas Lebendiges darin eingesperrt gewesen: Das Leder war voller Kratzer und Striemen, so als hätte etwas versucht, sich mit Krallen und Zähnen einen Weg nach außen zu bahnen. Maus erinnerte sich an das Rumoren im Inneren des Koffers, als sie ihn für Tamsin durch das Foyer des Aurora getragen hatte, gleich bei ihrer ersten Begegnung – damals, so kam es ihr vor, obwohl seitdem nur Tage vergangen waren. So vieles war seither geschehen. Die Welt hatte Kopf gestanden, und ihr Leben, so schien es ihr, tat es noch immer. Alles war wie umgekrempelt. Am allermeisten sie selbst.
    Sie wagte nicht, den Koffer zu berühren, deshalb ließ sie ihn liegen und ging hinüber zur angelehnten Schlafzimmertür. Durch den Spalt fiel ein Streifen des unnatürlichen Lichts. Maus scheute sich weiterzugehen, aber sie kam nicht umhin, wenn sie wirklich herausfinden wollte, was im Schlafzimmer vor sich ging.
    Mit einem Ruck stieß sie die Tür nach innen. Der Lichtstreif fächerte auf, badete sie in seinem vielfarbig funkelnden Glanz. Sekundenlang schloss sie geblendet die Augen, öffnete sie, erkannte noch immer nichts, rieb mit den Knöcheln über die Lider und sah gleich darauf abermals hin.
    Die breite Fensterfront war verschwunden, ihre Scherben unter Schnee begraben. Das Schlafzimmer ging jetzt in die Terrasse über, bildete eine weite, nach oben hin offene Bühne eines verzweifelten Kampfes.
    Überall flirrten Nordlichter, vereinigten sich zu einer himmelhohen Säule, tanzten um Maus, um die Königin, um Tamsin.
    Und um eine vierte Gestalt.
Das Kapitel über den Anfang vom Ende der Geschichte
    Die Helligkeit erlosch schlagartig, wenige Augenblicke nachdem Maus die Tür aufgestoßen hatte. Einen Moment lang sah sie das Funkeln und Leuchten noch über die Wände, die Einrichtung, die Menschen im Zimmer geistern. Dann ertranken sie alle in grauem Winterdämmer.
    Weite Teile der Zimmereinrichtung lagen in Trümmern. Die meisten Möbelstücke waren zu Holzsplittern zerschreddert, länger als Maus’ Arme; wie Geschosse hatten sie sich in Wände und Boden gebohrt. Unfassbare Gewalten mussten hier gewütet haben. Im Duell der beiden Zauberinnen war alles zur Waffe geworden: nicht nur die Möbeltrümmer, sondern auch Glasscherben, schwertlange Eiszapfen, womöglich gar die Winde selbst, denn der Schnee am Boden wies seltsame Wellen auf, so als hätten ihn starke Böen zu rippenförmigen Dünen aufgeworfen. Inmitten all dieser Verwüstung lag die Königin auf dem Rücken und stemmte gerade mit verzerrtem Gesicht ihren Oberkörper vom Boden. Sie befand sich draußen auf der Terrasse, jenseits der Schwelle, die nur noch als Erhebung unter dem Schnee zu erkennen war.
    Tamsin kauerte auf den Knien vor der Rückwand des Zimmers und hielt den Kopf vornübergebeugt. Ihr blaues Haar hatte sich gelöst und verdeckte als zerzauster Vorhang ihr Gesicht. Ihr ganzer Körper bebte und zitterte, und Maus meinte, in der plötzlichen Stille ihren rasselnden Atem zu hören. Es klang, als steckte etwas in ihrem Hals fest.
    Zwischen den beiden Kontrahentinnen lagen zwanzig Meter Trümmerfeld, in seiner Mitte stand eine weitere Gestalt. Maus brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, woher sie so plötzlich gekommen war; dann aber sah sie die großen Reisekisten der Schneekönigin und vor allem die eine, weit geöffnete, in der ein Mensch mühelos Platz fand.
    Der fremde Mann war groß gewachsen und hager, imposant in seiner ganzen Erscheinung, und obgleich er sich nicht rührte, strahlten seine Statur und Pose Stärke aus. Er stand hoch aufgerichtet, hatte die Arme

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