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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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Es handelt sich nicht um einen Sturz. Sie haben eine Blutspur gefunden.«
    Erlendurs Gesichtszüge verdunkelten sich.
    »Der Junge kam von hinten in den Garten«, sagte Elínborg. »Da ist ein Fußgängerweg. Er sollte normalerweise beleuchtet sein, aber einer der Anwohner hier hat uns gesagt, dass an der einzigen Straßenlaterne dauernd die Birnen eingeschlagen werden. Der Junge ist über den Zaun geklettert, um in den Garten zu kommen. Wir haben Blutspuren am Zaun gefunden. Dort hat er auch seinen Stiefel verloren, wahrscheinlich, als er über den Zaun kletterte.« Elínborg holte tief Atem.
    »Jemand hat mit einem Messer auf ihn eingestochen. Er ist wahrscheinlich an einem Stich in den Bauch gestorben. Unter ihm befand sich eine Blutlache, die sofort festfror.« Elínborg verstummte.
    »Er war auf dem Weg nach Hause«, fügte sie dann hinzu. »Kann man herausfinden, wo ihm der Stich versetzt wurde?«
    »Das wird gerade versucht.«
    »Hat man bereits festgestellt, wer seine Eltern sind?«
    »Seine Mutter ist auf dem Weg. Sie heißt Sunee und stammt aus Thailand. Wir haben ihr noch nicht gesagt, was geschehen ist. Das wird furchtbar.«
    »Du musst bei ihr sein«, sagte Erlendur. »Was ist mit dem Vater?«
    »Ich weiß es nicht. An der Wohnungstür sind drei Namen. Der dritte Name ist Niran oder so ähnlich.«
    »Wenn ich es richtig verstanden habe, hat er einen Bruder«, sagte Erlendur.
    Er hielt die Außentür für Elínborg auf, und sie traten in den Nordwind hinaus. Elínborg wartete auf die Mutter, um mit ihr zum Leichenschauhaus zu fahren. Ein Polizist begleitete Stefán nach Hause, wo seine Aussage zu Protokoll genommen werden musste. Erlendur zog sich den Mantel an und ging wieder in den Garten. Dort, wo der Junge gelegen hatte, war der Boden dunkel.
    Gefällt bin ich zu Boden.
    Diese Zeile aus einem Gedicht von Jónas Hallgrímsson ging Erlendur durch den Kopf, als er reglos vor der Stelle stand, wo der Junge gelegen hatte. Er starrte zunächst eine Weile darauf und ließ dann seine Blicke an dem düster wirkenden Gebäude entlanggleiten. Schließlich ging er vorsichtig über das Eis hinüber zu dem Spielplatz im Garten, fasste an die kalte Eisenstange der Rutschbahn und spürte, wie die beißende Kälte ihm den Arm hochkroch.
    Gefällt bin ich zu Boden,
    Gefroren und kann mich nicht lösen.

Zwei
    Elínborg begleitete die Mutter des Jungen zum Leichenschauhaus am Barónsstígur. Die kleine, zierliche Frau war Mitte dreißig und wirkte nach einem langen Arbeitstag müde. Das dichte, dunkle Haar umrahmte ein rundes und freundliches Gesicht und war im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden. Nachdem die Polizei herausgefunden hatte, wo sie arbeitete, waren zwei Mitarbeiter damit beauftragt worden, sie abzuholen. Sie brauchten geraume Zeit, um ihr zu erklären, was passiert war und dass sie mit ihnen kommen müsse. Als sie bei dem Wohnblock eintrafen, setzte sich Elínborg zu ihr ins Auto und stellte bald fest, dass ein Dolmetscher notwendig sein würde. Ein Anruf beim Haus für Internationale Kontakte ergab, dass man eine Dolmetscherin zum Leichenschauhaus schicken würde.
    Als Elínborg mit der Mutter dort erschien, war die Dolmetscherin noch nicht eingetroffen. Die beiden Frauen betraten unverzüglich das Gebäude und wurden vom Gerichtsmediziner in Empfang genommen. Als die Mutter ihren Sohn erblickte, stieß sie einen Laut des Entsetzens aus und sank Elínborg in die Arme. Sie rief etwas in ihrer Muttersprache, und in diesem Moment betrat die Dolmetscherin den Raum, eine Isländerin in etwa demselben Alter wie die Frau. Gemeinsam versuchten sie und Elínborg, die Mutter zu beruhigen. Elínborg hatte den Eindruck, dass die beiden sich kannten. Die Dolmetscherin sprach in beruhigendem Ton auf die Mutter ein, die vor Schmerz und ohnmächtiger Hilflosigkeit außer sich war. Sie riss sich los, warf sich über ihren Sohn und weinte hemmungslos.
    Erst nach geraumer Zeit gelang es ihnen, die Frau aus dem Leichenschauhaus und zum Streifenwagen zu führen, der sie zurück zu ihrem Wohnblock brachte. Elínborg sprach mit der Dolmetscherin darüber, dass die Mutter sich mit ihrer Familie oder Freunden in Verbindung setzen müsse, mit jemandem, der ihr nahestand und dem sie vertraute, um nicht in dieser furchtbaren Situation ganz allein zu sein. Die Dolmetscherin gab das weiter, aber die Mutter zeigte keinerlei Reaktion und antwortete nicht.
    Elínborg beschrieb der Dolmetscherin, wie Elías im Garten des Hauses

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