Frozen Time (German Edition)
schließt mich in die Arme. Ich genieße für einen Moment die feste Umarmung, die mittlerweile für uns wieder eine Selbstverständlichkeit geworden ist, schiebe sie dann aber von mir und schaue sie fragend an.
»Was ist los, Doreen, ist etwas passiert?«
»Nein, ja, wie man es nimmt.« So verwirrt kenne ich Doreen gar nicht. »Der Rat der Generationen hat mir das Amt der Gesundheitsbeauftragten für die VEN angeboten«, berichtet sie aufgeregt.
»Oh, das ist ja großartig, herzlichen Glückwunsch.« Noch einmal schließe ich Doreen in die Arme und Milo verneigt sich respektvoll vor ihr. Sie lacht, wird aber sofort wieder ernst.
»Ja«, sagt sie, dann gerät sie plötzlich ins Stocken und fährt zögernd fort: »Sie haben mich gefragt, wen ich mir als Nachfolger für die Projektleitung von
Frozen Time
vorstellen würde.«
»Hm«, mache ich bloß. Normalerweise sprechen Doreen und ich nicht über
Projekt Frozen Time
, obwohl sie, nachdem wir damals die Wahrheit ans Licht gebracht haben, zur neuen Projektleiterin aufgestiegen ist. Aber ich habe mir nach allem, was passiert ist, geschworen, dass ich damit nie wieder etwas zu tun haben möchte. Stattdessen arbeite ich als ganz normale Medi in einem gewöhnlichen MediCenter, genau wie Milo, und bin damit sehr zufrieden.
»Tessa«, nimmt Doreen einen zweiten Anlauf, als ich keine weitere Reaktion zeige. »Ich habe deinen Namen genannt.«
»Nein«, wehre ich ab und spüre, wie mein Herzschlag sich beschleunigt. »Du weißt, wie ich darüber denke.«
»Ja«, räumt Doreen ein, »aber wenn nicht du, wer dann? Du bist eine der erfahrensten Medis, die je an diesem Projekt mitgearbeitet haben. Unter deiner Leitung würde es sicher gelingen, die Forschungsergebnisse, die wir in den letzten zehn Jahren erzielt haben, endlich zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Und außerdem würde es dem Ansehen von
Projekt Frozen Time
in der Öffentlichkeit guttun, wenn du die Leitung übernimmst. Tessa, die Bürger haben nicht vergessen, wer damals die schreckliche Wahrheit aufgedeckt hat.«
»Ja, aber sie haben sicher auch nicht vergessen, dass ich selbst verjüngt wurde.« Das Wort geht mir mittlerweile leicht von den Lippen. Ich habe mich mit meinem neuen Leben versöhnt, nur mit der Schuld, dass ein anderer Mensch dafür sterben musste, komme ich noch immer nicht klar. »Und selbst wenn es uns gelingen sollte, die
Frozen
endlich zu erwecken, was dann? Die meisten haben das Höchstalter erreicht! Sollen wir sie alle verjüngen? Was wäre das für eine Gesellschaft, die sich immer wiederselbst erneuert? Eine Gesellschaft mit immer den gleichen Menschen, die nur noch auf der Stelle tritt! Eine Gesellschaft, in der es nichts Neues geben kann, weil sie von Altem gesättigt ist. Nein!«
Ich habe mich in Rage geredet, Gedanken, die mich seit Jahren beschäftigten und die ich nie ausgesprochen habe, drängen jetzt heraus. »Jeder von uns sollte nur ein Leben zu leben haben, das ist genug. Und diejenigen, die neu geboren werden, sollten die Chance bekommen, ihre eigene Welt zu gestalten«, sage ich laut und streiche mir abwesend mit der flachen Hand über den gewölbten Bauch, als ich einen festen Tritt spüre. Nachdem das staatlich kontrollierte Geburtensystem abgeschafft wurde, haben Milo und ich uns entschieden, ein Kind zu bekommen. Doreen lächelt, als sie die Bewegung bemerkt.
»Ich gebe dir recht«, beschwichtigt Doreen mich. »Aber dieses eine Leben, das sollte jeder zu Ende leben dürfen, meinst du nicht?«
Ich hole tief Luft, als ich begreife, was meine Freundin damit meint. Diejenigen, die alt waren, als sie kryokonserviert wurden, haben nur noch eine kurze Spanne, doch diejenigen, die jung waren – so wie Finn –, womöglich noch ein ganzes Leben vor sich. Und auch jeder dieser Menschen hat ein Recht darauf, sein Leben zu leben. Wenn wir die
Frozen
erwecken, geben wir ihnen das zurück, was ihnen Samantha Figger mit falschen Versprechungen und gerissenen Lügen genommen hat. Noch einmal atme ich durch.
»Ich werde darüber nachdenken«, sage ich zu Doreen, und sie lächelt mich breit an, bevor sie geht.
»Ach Milo, was soll ich bloß tun?« Seufzend lasse ich mich wieder auf das Sofa fallen.
»Das kannst du nur selbst entscheiden«, antwortet er und sieht mich mit einem warmen Blick aufmerksam an.
»Aber wirst du mir helfen?«, frage ich. »Egal, wie ich mich entscheide?«
»Natürlich«, sagt er, setzt sich neben mich und schließt mich fest in die Arme.
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