Frozen Time (German Edition)
setzt sich darauf, dicht neben mich. »Es geht ganz schnell, danach kannst du dich weiter ausruhen.«
Ich nicke wieder.
»Gut. Weißt du, wo du dich hier befindest?«
Wo ich mich befinde?
Ich muss nicht über diese Frage nachdenken, denn ich weiß die Antwort, ohne mich umzuschauen. Die grünen und blauen Kittel der Medis, das Piepen in meinem Kopf ergeben von selbst Sinn.
»Auf einer Intensivstation«, sage ich leise, aber entschieden. Ja, ich weiß, wo ich mich befinde. Ich habe nur keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin.
»Gut«, wiederholt die Medi. »Und kannst du mir vielleicht das Datum sagen, den Monat, das Jahr?«
Ich starre sie an. Sehe ihre ernsten Augen, um die keine Fältchen mehr liegen. Schaue auf den Mundschutz, unter dem ihr Gesicht so verborgen ist, dass ich nicht weiß, ob sie mich noch anlächelt. Und ich versuche nachzudenken, mich zu erinnern.
Welcher Monat? Welches Jahr?
Nein. Ich weiß es nicht. Ich kann mich einfach nicht daran erinnern.
Warum weiß ich das nicht?
Verwirrt schüttele ich den Kopf.
Aus dem Augenwinkel registriere ich, dass die beiden Medis im Hintergrund eilig mit ihren Fingern über die ReflektoPads in ihren Händen fahren.
Meine Brust schnürt sich zu.
Was ist hier los?
»In Ordnung«, fährt die Medi neben mir mit ruhiger Stimme fort. Als wäre es das Normalste von der Welt, dass ich nicht weiß, in welchem Jahr wir leben. »Vielleicht kannst du mir dein Alter verraten?«
Mein Alter?
Natürlich.
Ich überlege. Warte darauf, dass eine Zahl ganz von selbst in meinem Kopf erscheint. Aber da ist nichts als Leere.
Nein. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wie alt ich bin.
Wie alt bin ich? Warum weiß ich nicht, wie alt ich bin?
Meine Brust wird enger. So eng, dass ich kaum Luft bekomme. Ich versuche, tief einzuatmen, aber da ist ein Widerstand, als wäre das Band um meinen Körper zu eng geworden, es presst die Luft aus meinen Lungen heraus und zwingt meinem Atem seinen eigenen Takt auf.
Merkt das denn niemand? Dass ich nicht atmen kann?
Die Finger sausen über die ReflektoPads. Die Medi neben mir lehnt sich noch ein bisschen vor.
»Keine Sorge. Es ist alles in Ordnung«, sagt sie.
Aber ich weiß, dass das nicht stimmt.
»Vielleicht kannst du mir deinen Namen verraten?«, fährt sie fort, als wäre tatsächlich nichts passiert.
Und da implodiere ich. Die Leere saugt mich ein und ich falle und falle in mir selbst. Weil ich plötzlich begreife. Dass ich nichts weiß. Mich an nichts erinnere. An rein gar nichts.
»Geht es dir jetzt wieder besser, Tessa?«
Ich kenne die Stimme. Es ist die gleiche Medi wie zuvor.
Sie haben mir ein Medikament gegeben und ich habe geschlafen. Jetzt ist der Nebel zurück und quillt durch meinen Kopf, durch meinen Körper. Er füllt die Leere mit Nichts. Wohltuendem, beruhigendem Nichts.
»Tessa?«
Sie muss mich meinen, so viel ist klar. Aber ich kann mit dem Namen, mit dem sie mich angesprochen hat, nichts anfangen
. Tessa.
Das klingt so fremd wie irgendein beliebiger Name. Ich schaue sie mit leerem Blick an. Die Medi scheint auf eine Reaktion zu warten, ihre wässrig blauen Augen werden fast unmerklich schmaler.
Mein Blick gleitet an ihr vorbei, wandert durch den Raum, in dem ich liege. Er ist klein und eng; nur mein Bett passt hinein, an der Seite des Bettes hat die Medi ein Ablagebord ausgefahren, auf dem ein Glas mit einer durchsichtigen Flüssigkeit steht. Wasser, vermute ich.
Wasser ist gesund. Es geht uns gut.
An der rechten Seite meines Bettes befindet sich eine Monitorwand. Auf dem riesigen Bildschirm dreht sich mein Patientenavatar gemächlich um die eigene Achse, die Körperteile leuchten in verschiedenen Schattierungen von Gelb und Orange, einige grüne sind auch dabei. Daneben flackern neonfarbene Kurven und Zahlen auf, verschwinden, bilden sich neu. Von dortkommt auch das Piepen, an das ich mich bereits gewöhnt habe, rhythmisch im Gleichklang mit dem Ausschlag der Kurven. Ich weiß genau, dass die Kurven und Zahlen etwas mit mir zu tun haben: Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffsättigung, Körpertemperatur – die Wörter schießen mir bei ihrem Anblick von selbst durch den leeren Kopf.
Woher weiß ich das?
Auch die Medi beobachtet jetzt die Kurven und Zahlen. Sie nickt, als wäre sie zufrieden mit dem, was sie da sieht.
»Möchtest du etwas trinken?«, fragt sie.
Ich nicke ebenfalls.
Sie beugt sich zu dem Ablagebord und nimmt das Glas in die Hand. Dann dreht sie sich zu mir um, hilft mir, mich
Weitere Kostenlose Bücher