Frühe Erzählungen 1893-1912
hinüber zu den Plaudernden, während durch den ganzen Saal ein gutmüthiges Gelächter das Spiel der Klarinette unterbrach, die das schwere und süße Melos der Liebe zu gellender Sentimentalität verzerrte. Ihr seid es, empfand er. Ihr seid das warme, holde, thörichte Leben, wie es als ewiger Gegensatz dem Geist gegenüber steht. Glaubt nicht, daß er Euch verachtet. Glaubt ihm nicht seine Miene der Geringschätzung. Wir schleichen Euch nach, wir stummen Unholde, wir stehen fern und in unseren Augen brennt eine gierig schauende Sehnsucht, Euch gleich zu sein.
Regt sich der Stolz? Möchte er leugnen, daß wir einsam sind? Prahlt er, daß des Geistes Werk der Liebe eine höhere Vereinigung sichert mit Lebenden an allen Orten und zu aller Zeit? Ach, mit wem? Mit wem? Immer doch nur mit Unseresgleichen, mit Leidenden und Sehnsüchtigen und Armen und niemals mit Euch, Ihr Blauäugigen, die Ihr den Geist nicht nöthig habt!
… Nun tanzten sie. Die Produktionen auf der Bühne waren beendet. Das Orchester schmetterte und sang. Auf dem glatten Boden schleiften, drehten und wiegten sich die Paare. Und Lili tanzte mit dem kleinen Maler. Wie zierlich ihr holdes Köpfchen aus dem Kelch des gestickten steifen Kragens erwuchs! In einem gelassenen und elastischen Schreiten und Wenden bewegten sie sich auf engem Raume umher; sein Gesicht war dem {376} ihren zugewandt; und lächelnd, in beherrschter Hingabe an die süße Trivialität der Rhythmen, fuhren sie fort, zu plaudern.
Eine Bewegung wie von greifenden und formenden Händen entstand plötzlich in dem Einsamen. Ihr seid dennoch mein, empfand er, und ich bin über Euch. Durchschaue ich nicht lächelnd Eure einfachen Seelen? Merke und bewahre ich nicht mit spöttischer Liebe jede naive Regung Eurer Körper? Spannen sich nicht angesichts Eures unbewußten Treibens in mir die Kräfte des Wortes und der Ironie, daß mir das Herz pocht vor Begier und lustvollem Machtgefühl, Euch spielend nachzubilden und im Licht meiner Kunst Euer thörichtes Glück der Rührung der Welt preiszugeben? … Und dann sank matt und sehnsüchtig Alles wieder in ihm zusammen, was sich so trotzig aufgerichtet hatte. Einmal, nur eine Nacht wie diese, kein Künstler sein, sondern ein Mensch! Einmal dem Fluch entfliehn, der da unverbrüchlich lautete: Du darfst nicht sein, Du sollst schauen; Du darfst nicht leben, Du sollst schaffen; Du darfst nicht lieben, Du sollst wissen! Einmal in treuherzigem und schlichtem Gefühl leben, lieben und loben! Einmal unter Euch sein, in Euch sein, Ihr sein, Ihr Lebendigen! Einmal Euch in entzückten Zügen schlürfen, Ihr Wonnen der Gewöhnlichkeit!
Er zuckte zusammen und wandte sich ab. Ihm war, als ob in alle diese hübschen, erhitzten Gesichter, wenn sie ihn anblickten, ein kalter und forschender Ausdruck träte. Der Wunsch, das Feld zu räumen, die Stille und Dunkelheit zu suchen, wurde plötzlich so stark in ihm, daß er nicht widerstand. Fortgehen, ohne Abschied sich ganz zurückziehen, wie er sich vorhin von Lilis Seite zurückgezogen hatte, und daheim den heißen, unselig berauschten Kopf auf ein kühles Kissen legen … Er schritt zum Ausgang.
Würde sie es bemerken? Er kannte es so wohl, dies Fortge {377} hen, dies schweigende, stolze und verzweifelte Entweichen aus einem Saale, einem Garten, von irgendeinem Orte fröhlicher Geselligkeit, mit der verhehlten Hoffnung, dem lichten Wesen, zu dem man sich hinübersehnt, einen kurzen Augenblick des Schattens, des Nachdenkens, des Mitleidens zu bereiten! Er blieb stehen und schaute noch einmal hinüber. Ein Flehen entstand in ihm. Dableiben, ausharren, bei ihr verweilen, wenn auch von fern, und irgend ein unvorhergesehenes Glück erwarten? Umsonst. Es gab keine Annäherung, keine Verständigung, keine Hoffnung. Geh, geh ins Dunkel, stütze den Kopf in die Hände und weine, wenn Du kannst, wenn es Thränen giebt in Deiner Welt der Erstarrung, der Ironie, des Eises, des Geistes und der Kunst! Er verließ den Saal.
Ein brennender, still bohrender Schmerz war in seiner Brust und zugleich eine unsinnige, unvernünftige Erwartung. Sie müßte es sehen, müßte begreifen, müßte kommen, ihm folgen, wenn auch nur aus Mitleid, müßte ihn aufhalten auf halbem Wege und zu ihm sagen: Bleib da, sei froh, – ich liebe Dich. Und er ging ganz langsam, obgleich er wußte, so zum Lachen gewiß wußte, daß sie keineswegs kommen werde, die kleine tanzende, plaudernde Lili.
Es war zwei Uhr morgens. Die Korridore lagen
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