Frühe Erzählungen 1893-1912
Leben Sie sich nicht ein, lassen {434} Sie sich nichts selbstverständlich werden, bewahren Sie sich einen Kindergeschmack für die Süßigkeiten des Wohlstandes. Sehen Sie … Ich bin nun seit manchem Jahr in der Lage, mir einige Annehmlichkeiten des Lebens zu gönnen;« (von Beckerath lächelte) »und doch versichere ich Sie, daß ich noch heute jeden Morgen, den Gott werden läßt, beim Erwachen ein wenig Herzklopfen habe, weil meine Bettdecke aus Seide ist. Das ist Jugendlichkeit … Ich weiß doch, wie ichs gemacht habe; und doch, ich kann um mich blicken wie ein verwunschener Prinz …«
Die Kinder tauschten Blicke, jedes mit jedem und so rücksichtslos, daß Herr Aarenhold nicht umhin konnte, es zu bemerken und sichtlich in Verlegenheit geriet. Er wußte, daß sie einig gegen ihn waren und daß sie ihn verachteten: für seine Herkunft, für das Blut, das in ihm floß und das sie von ihm empfangen, für die Art, in der er seinen Reichtum erworben, für seine Liebhabereien, die ihm in ihren Augen nicht zukamen, für seine Selbstpflege, auf die er ebenfalls kein Recht haben sollte, für seine weiche und dichterische Geschwätzigkeit, der die Hemmungen des Geschmackes fehlten … Er wußte es und gab ihnen gewissermaßen recht; er war nicht ohne Schuldbewußtsein ihnen gegenüber. Aber zuletzt mußte er seine Persönlichkeit behaupten, mußte sein Leben führen und auch davon sprechen dürfen, namentlich dies. Er hatte ein Recht darauf, hatte nachgewiesen, daß er der Betrachtung wert war. Er war ein Wurm gewesen, eine Laus, jawohl; aber eben die Fähigkeit, dies so inbrünstig und selbstverachtungsvoll zu empfinden, war zur Ursache jenes zähen und niemals genügsamen Strebens geworden, das ihn groß gemacht hatte … Herr Aarenhold war im Osten an entlegener Stätte geboren, hatte eines begüterten Händlers Tochter geehelicht und vermittelst einer kühnen und klugen Unternehmung, großartiger Ma {435} chenschaften, welche ein Bergwerk, den Aufschluß eines Kohlenlagers zum Gegenstand gehabt hatten, einen gewaltigen und unversieglichen Goldstrom in seine Kasse gelenkt …
Das Fischgericht stieg hernieder. Die Diener eilten damit vom Büfett durch die Weite des Saales. Sie reichten die cremeartige Sauce dazu und schenkten Rheinwein, der leis auf der Zunge prickelte. Man sprach von Sieglindens und Beckeraths Hochzeit.
Sie stand nahe bevor, in acht Tagen sollte sie stattfinden. Man erwähnte der Aussteuer, man entwarf die Route der Hochzeitsreise nach Spanien. Eigentlich erörterte Herr Aarenhold allein diese Gegenstände, von seiten von Beckeraths durch eine artige Fügsamkeit unterstützt. Frau Aarenhold speiste gierig und antwortete, nach ihrer Art, ausschließlich mit Gegenfragen, die wenig förderlich waren. Ihre Rede war mit sonderbaren und an Kehllauten reichen Worten durchsetzt, Ausdrücken aus dem Dialekt ihrer Kindheit. Märit war voll schweigenden Widerstandes gegen die kirchliche Trauung, die in Aussicht genommen war und die sie in ihren vollständig aufgeklärten Überzeugungen beleidigte. Übrigens stand auch Herr Aarenhold dieser Trauung kühl gegenüber, da von Beckerath Protestant war. Eine protestantische Trauung sei ohne Schönheitswert. Ein anderes, wenn von Beckerath dem katholischen Bekenntnis angehört hätte. – Kunz blieb stumm, weil er sich in von Beckeraths Gegenwart an seiner Mutter ärgerte. Und weder Siegmund noch Sieglind legten Teilnahme an den Tag. Sie hielten einander zwischen den Stühlen an ihren schmalen und feuchten Händen. Zuweilen fanden sich ihre Blicke, verschmolzen, schlossen ein Einvernehmen, zu dem es von außen nicht Wege noch Zugang gab. Von Beckerath saß an Sieglindens anderer Seite.
»Fünfzig Stunden«, sagte Herr Aarenhold, »und Sie sind in {436} Madrid, wenn Sie wollen. Man schreitet fort, ich habe auf dem kürzesten Wege sechzig gebraucht … Ich nehme an, daß Sie den Landweg dem Seewege von Rotterdam aus vorziehen?«
Von Beckerath zog den Landweg eilfertig vor.
»Aber Sie werden Paris nicht links liegen lassen. Sie haben die Möglichkeit, direkt über Lyon zu fahren … Sieglinde kennt Paris. Aber Sie sollten sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen … Ich stelle Ihnen anheim, ob Sie vorher Aufenthalt nehmen wollen. Die Wahl des Ortes, wo Ihnen der Honigmond anbrechen soll, bleibt billig Ihnen selbst überlassen …«
Sieglinde wandte den Kopf, wandte ihn zum erstenmal ihrem Verlobten zu: unverhohlen und frei, ganz unbesorgt, ob jemand
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