Frühe Erzählungen 1893-1912
gehaltene Zustimmung, ihr Tadel, behend, geweckt und respektlos, entwaffnete im Handumdrehen, setzte die Begeisterung matt, machte sie dumm und stumm. Sie nannten »sehr gut« das Werk, das durch eine unverträumte Intellektualität vor jedem Einwand gesichert schien, und sie verhöhnten den Fehlgriff der Leidenschaft. Von Beckerath, zu einem unbewaffneten Enthusiasmus {439} geneigt, hatte schweren Stand, besonders, da er der ältere war. Er ward beständig kleiner auf seinem Stuhl, drückte das Kinn auf die Brust und atmete verstört durch den offenen Mund, bedrängt von ihrer lustigen Übermacht. Sie widersprachen auf jeden Fall, als schiene es ihnen unmöglich, kümmerlich, schimpflich, nicht zu widersprechen, sie widersprachen vorzüglich, und ihre Augen wurden zu blitzenden Ritzen dabei. Sie fielen über ein Wort her, ein einzelnes, das er gebraucht hatte, zerzausten es, verwarfen es, und trieben ein anderes auf, ein tötlich bezeichnendes, das schwirrte, traf und bebend im Schwarzen saß … Von Beckerath hatte rote Augen und bot einen derangierten Anblick, als das Frühstück zu Ende ging.
Plötzlich – man streute sich Zucker auf die Ananasschnitten – sagte Siegmund und verzerrte nach seiner Art beim Sprechen das Gesicht wie jemand, den die Sonne blendet:
»Ach, hören Sie, Beckerath, eh’ wir’s vergessen noch eins … Sieglind und ich, wir nahen uns Ihnen in bittender Haltung … Es ist die ›Walküre‹ heute im Opernhaus … Wir möchten sie, Sieglind und ich, noch einmal zusammen hören … dürfen wir das? Es hängt natürlich von Ihrer Huld und Gnade ab ....«
»Wie sinnig!« sagte Herr Aarenhold.
Kunz trommelte auf dem Tischtuch den Rhythmus des Hunding-Motivs.
Von Beckerath, bestürzt, daß man in irgendeiner Sache nach seiner Erlaubnis verlangte, antwortete eifrig:
»Aber, Siegmund, gewiß … und Sie, Sieglind … ich finde das sehr vernünftig … gehen Sie unbedingt … ich bin imstande und schließe mich an … Es ist eine vorzügliche Besetzung heute …«
Aarenholds beugten sich lachend über ihre Teller. Von Bekkerath, ausgeschlossen und blinzelnd nach Orientierung ringend, versuchte, so gut es ging, sich an ihrer Heiterkeit zu beteiligen.
{440} Siegmund sagte vor allen Dingen:
»Ach, denken Sie, ich finde die Besetzung schlecht. Im übrigen, seien Sie unserer Dankbarkeit wohl versehen; aber Sie haben uns mißverstanden. Sieglinde und ich, wir bitten, vor der Hochzeit noch einmal
allein
miteinander die ›Walküre‹ hören zu dürfen. Ich weiß nicht, ob Sie jetzt …«
»Aber natürlich … Ich verstehe vollkommen. Das ist reizend. Sie müssen unbedingt gehen …«
»Danke. Wir danken Ihnen sehr. – Dann lasse ich also Percy und Leiermann für uns anspannen.«
»Ich erlaube mir, dir zu bemerken«, sagte Herr Aarenhold, »daß deine Mutter und ich zum Diner bei Erlangers fahren und zwar mit Percy und Leiermann. Ihr werdet die Herablassung haben, Euch mit Baal und Zampa zu begnügen und das braune Coupé zu benützen.«
»Und Plätze?« fragte Kunz …
»Ich habe sie längst«, sagte Siegmund und warf den Kopf zurück.
Sie lachten, indem sie dem Bräutigam in die Augen sahen.
Herr Aarenhold entfaltete mit spitzen Fingern die Hülse eines Belladonna-Pulvers und schüttete es sich behutsam in den Mund. Er zündete sich hierauf eine breite Zigarette an, die alsbald einen köstlichen Duft verbreitete. Die Diener sprangen herzu, die Stühle hinter ihm und Frau Aarenhold fortzuziehen. Befehl erging, daß der Kaffee im Wintergarten gereicht werde. Kunz verlangte mit scharfer Stimme nach seinem Dogcart, um in die Kaserne zu fahren.
Siegmund machte Toilette für die Oper und zwar seit einer Stunde. Ein außerordentliches und fortwährendes Bedürfnis nach Reinigung war ihm eigen, dergestalt, daß er einen beträchtlichen Teil des Tages vorm Lavoir verbrachte. Er {441} stand jetzt vor seinem großen, weißgerahmten Empire-Spiegel, tauchte den Puderquast in die getriebene Büchse und puderte sich Kinn und Wangen, die frisch rasiert waren; denn sein Bartwuchs war so stark, daß er, wenn er abends ausging, genötigt war, sich ein zweitesmal davon zu säubern.
Er stand dort ein wenig bunt: in rosaseidenen Unterbeinkleidern und Socken, roten Saffian-Pantoffeln und einer dunkel gemusterten wattierten Hausjacke mit hellgrauen Pelzaufschlägen. Und um ihn war das große, ganz mit weißlackierten und vornehm praktischen Dingen ausgestattete Schlafzimmer, hinter
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