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Frühe Erzählungen 1893-1912

Frühe Erzählungen 1893-1912

Titel: Frühe Erzählungen 1893-1912 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Gesicht einen gewissen Ausdruck der Verwirrung zu bemerken, über den er wahrscheinlich sich hätte von Herzen freuen können, den er aber als Ärger über sein unschickliches Benehmen deutete, und über den er sich einen Moment schamvoll grämte.
    »Meinen herzlichsten Dank, Fräulein Weltner«, sagte er schnell und in förmlicherer Weise als bisher, »für die große Freundlichkeit, die Sie mir erwiesen haben –«
    »Ich bitte Sie; ich bin sehr erfreut, Sie kennen gelernt zu haben.«
    »Und nicht wahr?« bat er nun wieder in seinem früheren treuherzigen Ton, »eine Bitte werden Sie mir auch nicht abschlagen, gnädiges Fräulein, nämlich – daß … ich einmal wiederkommen darf!«
    »
Natürlich
! … das heißt … gewiß, – warum nicht!« Sie ward ein wenig verlegen. Seine Bitte schien nach dem seltsamen Handkusse etwas unzeitgemäß.
    »Ich würde mich sehr freuen, wieder einmal mit Ihnen plaudern zu können«, fügte sie dann jedoch mit ruhiger Freundlichkeit hinzu und reichte ihm noch einmal die Hand.
    {28} »Tausend Dank!«
    Noch eine kurze Verbeugung, dann war er draußen. Auf einmal wieder, als er sie nicht mehr sah, wie im Traum.
    Aber dann fühlte er aufs neue die Wärme ihrer Hand in der seinen und auf seinen Lippen, dann wußte er wieder, daß es wirklich Wirklichkeit war, und daß seine »verwegenen«, seligen Träume wahr geworden. Und er taumelte wie betrunken die Treppe hinunter, seitwärts auf das Geländer gebeugt, welches sie so oft berührt haben mußte, und welches er küßte, mit jubelnden Küssen, – von oben bis unten. –
    Unten, vor dem von der Straßenfront ein wenig zurückweichenden Hause, war ein kleiner Hof- oder gartenartiger Vorplatz, an dessen linker Seite ein Fliederbusch die ersten Blüten trieb. Da blieb er stehen und barg sein glühendes Gesicht in dem kühlen Gesträuch und trank lange, während sein Herz pochte, den jungen, zarten Duft.
    Oh – o wie er sie liebte! – – –
    Rölling und ein paar andere junge Leute waren schon eine Weile mit Essen fertig, als er das Restaurant betrat und sich erhitzt und mit einem flüchtigen Gruße zu ihnen setzte. Einige Minuten saß er ganz still und sah sie nur nach der Reihe mit einem überlegenen Lächeln an, als machte er sich im Geheimen über sie lustig, die so dasaßen und Cigaretten rauchten und garnichts wußten.
    »Kinder!!« schrie er dann auf einmal, indem er sich über den Tisch beugte, »wißt Ihr was Neues? Ich bin glücklich!!«
    »
Aha
?!« sagte Rölling und sah ihm sehr ausdrucksvoll ins Gesicht. Dann reichte er ihm mit einer feierlichen Bewegung über dem Tische die Hand.
    »Meinen tiefgefühltesten Glückwunsch, Kleiner.«
    »Wozu denn?«
    »Was ist denn los?«
    {29} »Ja so, das wißt Ihr noch garnicht. Also es ist sein
Geburtstag
heute. Er feiert Geburtstag. Schaut ihn mal an; – ist er nicht ganz wie neugeboren?!«
    »Nanu!«
    »Donnerwetter!«
    »Gratuliere!«
    »Du, also da müßtest Du eigentlich …«
    »Natürlich! – Kell-ner!« –
    Man mußte ihm zugestehen, er wisse seinen Geburtstag zu feiern. – – – – –
    Dann, nach mühevoll mit sehnender Ungeduld herunter gewarteten acht Tagen, wiederholte er seinen Besuch. Sie hatte es ihm ja erlaubt. All die exaltierten états d’âme, die das erste Mal die Liebesscheu in ihm wachgerufen, kamen da schon in Wegfall.
    Nun, und dann sah und sprach er sie halt öfter. Sie erlaubte es ihm ja immer wieder aufs neue.
    Sie plauderten ungezwungen miteinander, und ihr Verkehr wäre fast freundschaftlich zu nennen gewesen, hätte sich nicht hin und wieder plötzlich eine gewisse Verlegenheit und Befangenheit, etwas wie eine vage Ängstlichkeit bemerkbar gemacht, die sich gewöhnlich bei beiden gleichzeitig zeigte. Es konnte in solchen Momenten das Gespräch plötzlich stocken und in einem sekundenlangen, stummen Blick sich verlieren, der dann, gleich dem ersten Handkuß, den Anlaß dazu gab, den Verkehr in augenblicklich steiferer Form fortzusetzen. –
    Einige Male durfte er sie nach der Vorstellung nach Hause begleiten. Welche Fülle von Glück bargen für ihn diese Frühlingsabende, wenn er an ihrer Seite durch die Straßen wanderte! Vor ihrer Hausthür dankte sie ihm dann herzlich für sein Bemühen, er küßte ihr die Hand und ging mit einer jubelnden Dankbarkeit im Herzen seines Weges.
    {30} An einem dieser Abende war es, als er sich nach dem Abschiede, schon einige Schritte von ihr entfernt, noch einmal umwandte. Da sah er, daß

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