0453 - Die Vögel des Bösen
Begonnen hatte es alles damit, daß Ted Ewigk für eine seiner höchstbezahlten Reportagen, die bei den Agenturen und TV-Netzen als ›Ted Ewigk-Meldungen‹ gehandelt und entsprechend dotiert wurden, einen Artikel nachlesen wollte, den es nur in Professor Zamorras Spezial-Bibliothek gab.
Diese Bibliothek existierte nur noch teilweise im Original; die Bücher und Folianten gehörten zu den Raritäten, die einen schier unglaublichen Wert darstellten, welcher in Geld nicht auszudrücken war. Aber beim Angriff des Fürsten der Finsternis vor einiger Zeit war ein Großteil von Professor Zamorras Bibliothek zerstört worden und auch ein Großteil der elektronisch gespeicherten Werke.
Was Ted nachlesen wollte, war auf Diskette abgespeichert.
Aber es war für ihn einfacher und ging schneller, zum Château Montagne zu reisen, Zamorras fürstlichem Wohnsitz, als sich die Diskette per Post zusenden zu lassen. Die italienische Post, stets zu Unrecht wegen ihrer angeblichen Langsamkeit gerügt, nahm sich plötzlich ein schlechtes Beispiel an der Deutschen Bundespost, die nach annähernd einem Jahr immer noch die ost-west-deutsche Vereinigung als Entschuldigung bei den Haaren herbeizog, daß Briefe erst nach mehr als einer Woche zugestellt werden konnten; gerade so, als habe es in der ehemaligen DDR noch nie ein funktionierendes Postwesen gegeben.
Seit es sich herausgestellt hatte, daß es nicht nur im Dimensionskeller von Ted Ewigks römischer Villa, sondern auch in den noch weitgehend unerforschten Gewölben unter dem Château Montagne Regenbogenblumen gab, war die Distanz zwischen dem Schloß am Berghang über der Loire und der Stadt am Tiber nur noch ein paar Meter weit: nämlich die Distanz, die man in den entsprechenden Gebäuden zurücklegen mußte, um wieder ans Tageslicht zurückzukehren.
Als vor fast tausend Jahren Château Montagne erbaut wurde, das eine stilistisch geglückte Mischung aus mittelalterlicher Burg und Renaissance-Schloß war, mußte unglaublich schwere Sklavenarbeit oder Schwarze Magie im Spiel gewesen sein, um eine Unzahl von Gängen und Räumen im gewachsenen Fels zu schaffen. Obwohl Professor Zamorra das Château schon seit vielen Jahren bewohnte, hatte er bisher nur einen Bruchteil der unterirdisch angelegten Räume und Gänge erforschen können; meistens fehlte ihm einfach die Zeit dazu. Es war eher dem Auftauchen eines fremden Riesen zu verdanken, daß er auf die Kammer mit den Regenbogenblumen gestoßen war, die unablässig unter einer hellen künstlichen Mini-Sonne blühten, welche frei in der Luft schwebte und in regelmäßigen Abständen für Licht und Dunkelheit sorgte, nur stimmte dieser Hell-Dunkel-Rhythmus nicht mit der 24-Stunden-Einteilung eines normalen Tages auf der Erde überein.
Im Keller von Ted Ewigks Villa am nördlichen Stadtrand Roms gab es ebenfalls Regenbogenblumen, aber mit diesem Keller hatte es eine besondere Bewandtnis. Es gab eine Schiebetür; bewegte man sie nach links, gelangte man in den Getränkekeller. Schob man sie statt dessen vor dem Eintreten nach rechts, öffnete sich ein Gang, der zunächst in einen Raum mit den Blumen führte, die unter einer ebenfalls seit Äonen frei schwebenden Miniatursonne blühten. Und dahinter gab es ein technisches Arsenal der DYNASTIE DER EWIGEN, das mehr als tausend Jahre alt sein mußte, und eine Schaltzentrale für ein Kontrollnetz von Materie-Sendern der Dynastie.
Diesen Materie-Transmittern widmete Ted längst keinen Blick mehr. Der abtrünnige Ewige Yared Salem hatte in seinem Auftrag diese Transmitter-Straßen blockiert, und Ted vertraute sich lieber den Pflanzen an als einer schier unbegreiflichen Supertechnik.
Ihre Blütenkelche waren annähernd menschengroß, und je nach Lichteinfall und Standort des Betrachters wechselten sie ihre Farbe über das gesamte Lichtspektrum. Aber wenn sich jemand vorstellte, zu einem bestimmten Ort zu gelangen, an dem es ebenfalls diese Blumen geben mußte, und sich dabei zwischen die Blütenkelche begab, der fand sich im nächsten Moment zwischen den Blumen an seinem Zielort wieder!
Deshalb bestand die Entfernung zwischen dem Château Montagne und dem ›Palazzo Eternale‹, wie Ted seine römische Villa genannt hatte, nur noch in ein paar Schritten.
Telefonisch hatte Ted sein Kommen angesagt.
Dabei hatte er erfahren, daß der Professor und seine Lebensgefährtin sich derzeit in den USA befanden. Aber das störte ihn nicht. Sie waren Freunde, und das Haus des einen stand dem anderen
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