Frühe Erzählungen 1893-1912
war.
Und er hob ihre zarte, fast überschlanke Gestalt vom Sitz empor, und sie stammelten einander in die offenen Lippen, wie sehr sie sich liebten.
Und dann machte es ihn seltsam erschauern, wie sie, die für seine Liebesscheu hohe Gottheit gewesen, vor der
er
sich stets schwach und ungeschickt und klein gefühlt, unter seinen Küssen zu wanken begann …
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Einmal in der Nacht erwachte er.
Das Mondlicht spielte in ihrem Haar, und ihre Hand ruhte auf seiner Brust.
Da sah er empor zu Gott und küßte ihre schlummernden Augen und war ein besserer Kerl als jemals.
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Ein stürmischer Gewitterregen war über Nacht niedergegangen. Die Natur war aus ihrem dumpfen Fieber erlöst. Die ganze Welt atmete einen erfrischten Duft.
In der kühlen Morgensonne zogen die Ulanen durch die Stadt, und die Leute standen vor den Thüren und rochen in die gute Luft und freuten sich.
Und wie er, seiner Wohnung zu, durch den verjüngten Frühling wanderte, eine träumerisch-selige Schlaffheit in den Gliedern, hätte er nur immer in den lichtblauen Himmel hineinjauchzen mögen – o du Süße – Süße – Süße – !!! – –
{36} Dann, daheim an seinem Arbeitstisch, vor ihrem Bilde hielt er Einkehr und veranstaltete eine gewissenhafte Prüfung seines Inneren, was er gethan, und ob er nicht etwa bei allem Glück ein Lump sei. Das hätte ihn sehr geschmerzt.
Aber es war gut und schön.
Ihm war so glockenfeierlich im Gemüt, wie etwa bei seiner Konfirmation, und wie er hinausblickte in den zwitschernden Frühling und in den milde lächelnden Himmel, war es ihm wieder wie in der Nacht, als sähe er dem lieben Gott mit ernster, schweigender Dankbarkeit ins Angesicht, und seine Hände falteten sich, und mit inbrünstiger Zärtlichkeit flüsterte er ihren Namen als andächtiges Morgengebet in den Frühling hinaus. – – –
Rölling – nein, der sollte es nicht wissen. Es war ja ein ganz lieber Junge, aber er würde doch nur wieder seine Redensarten dazu machen und die Sache so – komisch behandeln. Aber wenn er einmal nach Hause käme, – ja, dann wollte er es abends einmal, wenn die Lampe summte, seiner Mama erzählen, – all – all sein Glück …
Und er versank wieder darin.
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Rölling wußte natürlich nach acht Tagen Bescheid.
»Kleiner!« sagte er, »denkst Du, ich bin
blöd
sinnig? Ich weiß
alles
. Du könntest mir die Sache gern mal ein bißchen detailliert erzählen.«
»Ich weiß nicht, was Du sprichst. Wenn ich aber auch
wüßte
, was Du sprichst, würde ich nicht von dem
sprechen
, was Du
weißt
«, entgegnete er ernsthaft, indem er den Frager mit lehrhafter Miene und gestikulierendem Zeigefinger durch die geistvolle Verwickelung seines Satzes wies.
»Nun sehe einer! Ordentlich witzig wird der Kleine! Der reine Saphir! – Na, sei recht glücklich, mein Junge.«
{37} »Das
bin
ich, Rölling!« sagte er ernst und fest und drückte mit Innigkeit des Freundes Hand.
Aber dem wurde es schon wieder zu sentimental.
»Du«, fragte er, »wird Irmachen nun nicht bald junge Frauen spielen? Kapotthütchen müssen ihr reizend stehen! – Übrigens – kann ich nicht Hausfreund werden?«
»Rölling, du bist unaus
steh
lich!« – – – – – – – – – – – – – – – –
– Vielleicht plauderte Rölling. Vielleicht auch konnte die Angelegenheit unseres Helden, der dadurch seinen Bekannten und seinen bisherigen Gewohnheiten völlig entfremdet wurde, überhaupt nicht lange unbekannt bleiben. Man erzählte sich sehr bald in der Stadt, »die Weltner vom Goethe-Theater« habe ein »Verhältnis« mit einem blutjungen Studenten, und die Leute versicherten nun, an die Anständigkeit der »Person« ja auch niemals recht geglaubt zu haben. –
Ja, er war allem entfremdet. Um ihn her war die Welt versunken, und unter lauter rosa Wölkchen und Rokoko-Amoretten, welche geigten, schwebte er durch die Wochen – selig, selig, selig! Wenn
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