Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
überlassen hätte, so es denn von Nutzen gewesen wäre. Andere Geschöpfe waren wenig um die Geheimnisse der Welt bemüht, sondern beschäftigten sich lieber mit den Nichtigkeiten ihrer eigenen Person. Wenn sie doch auch nur dieses Talent besäße, um ihrem Bruder ihre eigene Situation erklären zu können, dachte Arrow.
„Hey“, sagte Dewayne und hob mit seinen Fingern ihr Kinn an, „wir werden eine Möglichkeit finden. Das verspreche ich dir.“
Verlegen lächelte Arrow ihren Bruder an und schloss ihn dann ganz fest in ihre Arme.
„Es tut so gut, dich endlich wieder bei mir zu haben“, flüsterte sie.
„Ich weiß“, entgegnete Dewayne gerührt. „Und jetzt bringen wir dir das Schlittschuhfahren bei.“
Blitze in der Nacht
Der Tag verging für Arrows Empfinden viel zu schnell. Kurz nachdem sie den kleinen Waldsee erreicht hatten, war auch Keylam zu ihnen gestoßen. Er half bei dem Vorhaben, Arrow in die hohe Kunst des Schlittschuhlaufens einzuweisen. Obwohl sie eigentlich schon lange fahren konnte, bereitete ihr nach wie vor das Anhalten die größten Probleme.
Es war ein schöner Nachmittag. Alle Sorgen und Ängste waren für den Moment wie weggeblasen. Sie alberten die ganze Zeit herum, und als eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit auch noch Sally, Harold und Adam dazu kamen, wurde das Vergnügen perfekt.
Selbst Harold lachte so ausgelassen wie lange nicht mehr. Zu Arrows Überraschung beherrschte er das Schlittschuhfahren sogar dermaßen gut, als hätte er nie etwas Anderes getan. Es war erstaunlich, wie viel Kraft in seinem doch recht mageren Körper steckte.
Arrow hatte ihn nur selten etwas essen sehen. Manchmal ließ er einen ganzen Teller von Sallys Köstlichkeiten unberührt, und an anderen Tagen wiederum verspeiste er Mengen, die eine fünfköpfige Familie hätten satt machen können. Doch immer wenn das geschah, wirkte er noch weit unglücklicher als in den Momenten, in denen er gar nichts aß.
Am Abend machten sie es sich alle vor dem großen Kamin in der Bibliothek gemütlich. Seitdem er aufwendig restauriert und entstaubt worden war, zählte dieser Raum eindeutig zu den Lieblingszimmern der Schlossbewohner. Der Kamin darin war ganz neu und dem des vormals so sehr geschätzten Kaminzimmers nachempfunden.
Eine Feiereinladung der Zwerge hatten sie dankend abgelehnt. Glücklicherweise drangen die Klänge des Festes nicht zu ihnen vor und so genossen sie den verzauberten Winterabend in vollen Zügen.
Sally hatte Zimtplätzchen gebacken, Anne hatte Apfeltee gekocht, und wenn gerade niemand Weihnachtslieder auf dem Piano spielte, lauschten sie dem Knacken der Holzscheite.
Keylam warf regelmäßig neues Feuerholz in die Glut, und immer wenn sie kurz vor dem Erlöschen war, blies Ardor, der es sich ebenfalls mit den anderen Perseiden in der Bibliothek gemütlich gemacht hatte, einen Feuerstrahl hinein. Gerne holte sich der Drache anschließend Streicheleinheiten bei Neve ab, die es wiederum genoss, ihren Babybauch von Dewayne getätschelt zu bekommen.
Nachts konnte Arrow wieder nicht einschlafen. Obwohl der Tag wunderschön gewesen war und sie kurz zuvor einige liebevolle Stunden mit Keylam verbracht hatte, waren die düsteren Gedanken zurückgekehrt und wollten ihr einmal mehr keine Ruhe lassen. Während der schöne Keylam friedlich durchs Land der Träume streifte, hatte Arrow es sich im gemeinsamen Turmzimmer in einem Sessel vor dem Kamin bequem gemacht. Das Buch auf dem Tisch hatte sie eigentlich lesen wollen, doch stattdessen starrte sie unentwegt ins Feuer zu Marb. Das Moosweiblein war mehrere Wochen lang nicht mehr erschienen, was Arrow traurig gemacht hatte. Zu sehr hatte sie sich inzwischen an die beruhigenden Knopfaugen der zotteligen Dame gewöhnt, als dass sie diese je hatte missen wollen. Marbs Anwesenheit war einfach zur alltäglichen Gewohnheit geworden. Jedoch war es eine Alltäglichkeit, die man zu schätzen wusste und keine, die einem irgendwann auf die Nerven ging. Um so größer war dann die Freude, als Marb plötzlich wieder aufgetaucht war. Und zusammen mit ihrer Rückkehr hatte sich auch der Grund für ihre lange Abwesenheit offenbart – oder vielmehr die beiden Gründe. Sobald das Moosweiblein auf dem Feuer erschienen war, waren auch zwei kleine Mooskinder aufgetaucht – ein Junge und ein Mädchen. Da Arrow bisher nur das Vergnügen gehabt hatte, Marb kennen lernen zu dürfen, hatte sie nicht viel Ahnung vom Moosvölkchen. Die beiden Kinder glichen der
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