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Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Titel: Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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PROLOG
Juni
    Sein Körper fällt schwer in den kochend heißen Sand, der ihn freundlich aufnimmt wie einen lange vermissten Freund. Er streckt die Beine von sich und blinzelt in die gleißende Sonne hoch über sich. Dass er es überhaupt aushalten kann, hier im mittäglichen Wüstensand zu sitzen, verdankt er spezieller Kleidung. Um diese Kleidung herstellen zu können, hat er nähen gelernt. Das Prinzip orientiert sich an der Epidermis von Schuppenkriechtieren. Genial einfach. Und absolut effektiv.
    Wüsten faszinieren ihn, seit er ein kleiner Junge ist. Sie wirken tot, und dennoch blüht im Verborgenen mannigfaches Leben. Genau wie bei ihm selbst. Seine Oberfläche ist glatt wie der Sand der Dünen und dabei genauso veränderlich. Aber das, was darunter liegt, hat es in sich.
    Seit zehn Jahren kommt er jeden Sommer wieder her, um ein paar Tage lang einzutauchen in die Wunderwelt der nördlichen Sahara. Ganz egal, wie knapp es finanziell aussieht, diese beiden Wochen leistet er sich. Die vierzehn Tage Wüste sind seine ganz persönliche Pilgerfahrt. Er lässt den Kopf zwischen die Knie sinken und lauscht seinem Atem, der noch immer viel zu schnell geht.
    Jedes Jahr Sahara.
    Und immer im Sommer.
    »Das ist eigentlich gar keine Reisezeit für Nordafrika«, erklärt man ihm im Reisebüro jedes Jahr aufs Neue und immer mit leicht entsetztem Unterton. »Sind Sie sicher, dass Sie nicht lieber im November …?«
    Oh ja, da ist er sicher …
    Er will das Pochen der Hitze unter seinen Sohlen spüren. Den heißen, reinen Atem der Wüste, der ihm ins Gesicht schlägt, wenn er den Jeep, den er am Flughafen gemietet hat, hinter sich zurücklässt und einfach losgeht. Einfach geradeaus in die glühende Weite.
    Es ist ein Kräftemessen, ganz klar. Mit ungewissem Ausgang.
    Aber genau das ist es ja, was ihn so anmacht. Die Unwägbarkeit. Die Möglichkeit des Scheiterns. Und das elementare Triumphgefühl, wenn er es wieder einmal geschafft hat.
    Er geht und geht, bis sein Herz so sehr schlägt, dass er weiß, es ist höchste Zeit für eine Pause. Und doch muss er sich jedes Mal mit aller Gewalt dazu zwingen, diese Pause zu machen.
    Eines Tages, denkt er, gehe ich einfach weiter.
    Einfach geradeaus, bis es vorbei ist.
    Aber nicht heute. Nicht dieses Mal.
    Die Glut rings um ihn wogt, die Stille vertieft sich, und er weiß, er kann es riskieren, eine kleine Auszeit zu nehmen. Er schließt die Augen und liegt unvermittelt wieder am erhitzten Kiesstrand seiner Kindheit. Der modrige Sommerduft des Rheins weht zu ihm herüber, Algen, Benzin und toter Fisch. Von weitem dringen Stimmen an sein Ohr. Seine sogenannten Freunde. Der Begriff »Gleichaltrige« trifft es eher, auch wenn er der Meinung ist, dass das nominelle Alter eines Menschen nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt.
    »So geh doch ein bisschen an den Fluss mit deinen Freunden«, bittet ihn seine Mutter in ihrer Schwäche, die der einzige Grund dafür ist, dass er ihr den Wunsch nicht abschlägt. Sie will, dass er glücklich ist. Wenigstens ab und zu für ein paar Stunden. Also liegt er hier am Rhein und blickt an seinem nackten Körper hinunter.
    Er ist braun geworden in diesem Sommer, eine gleichmäßige, attraktive Farbe, der die feinen blonden Härchen an seinen Unterarmen einen goldenen Schimmer verleihen. Als er
ein paar Mädchenstimmen kichern hört, richten sich die Härchen auf.
    Wahrscheinlich wieder diese Nervensägen, Jenny und Flo. Sie reden ununterbrochen über ihn. Fangen an zu flüstern, sobald er auftaucht. Kichern. Und gestern haben sie ihn sogar eingeladen. Zu einer Party. Allein das Wort ekelt ihn.
    »Am Freitag«, haben sie gesagt.
    Also noch diese Woche …
    Nicht dass er da hingehen will. Aber sie haben es sehr schlau angestellt. Verdammt schlau. Das Pochen in seinem Körper verstärkt sich. Sie haben seine Mutter angerufen und gefragt, ob er zu ihrer Feier kommen dürfe. Und seine Mutter in ihrem schlechten Gewissen hat zugesagt. Ohne ihn auch nur zu fragen. Ihre stumpfen braunen Augen haben geflackert vor Glück. Eine Einladung. Etwas Normales für den Jungen, der so viel Zeit im Dunkeln verbringt, weil ihr inzwischen sogar das Licht wehtut. Etwas, das ihr einen Teil ihrer Schuld nimmt. Oder zumindest einen Teil dessen, was sie als Schuld empfindet.
    Geh ruhig hin, Schatz. Hab ein bisschen Spaß, ja?
    Zwecklos, ihr zu sagen, dass er nicht gehen will. Er ist jung, er ist gesund, er hat zu einer Party zu wollen, wenn er eingeladen wird.

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