Fuchserde
dir die Möglichkeit gibt, danach zu leben, zu reden und zu handeln.
Oft hast du mich nach dem Sinn des Lebens gefragt, mein kleiner, schlauer Fuchs. Nie habe ich dir geantwortet und dennoch weißt du heute die Antwort: Der Sinn des Lebens ist, das Leben sinnvoll zu leben. Das bedeutet, jeden Augenblick in der Wahrheit und in der Wirklichkeit zu le ben.
Wenn ein Menschenkind nur einen Atemzug zu leben hätte und in diesem kurzen Moment mit ganzem Herzen und klaren Augen nichts anderes täte, als mit inbrünstiger Stimme die Luft zu bewegen, dann hätte es sinnvoller gelebt als ein altersschwacher Greis, der sein langes Leben mit leerer Zeit gefüllt hat. Denke daran, mein kleiner, schlauer Fuchs, wenn du einmal mit dir unzufrieden bist und grübelnd ins Dunkle starrst.
Wenn du dich zwischen zwei Lösungen zu entscheiden hast, bedenke die dritte.
Wenn du wählst, vermeide die Dinge, die das Leben verschleißend machen.
Wenn du das Glück suchst, vergiss nicht, es wohnt nirgendwo anders als in dir und nur in dir.
Wenn du die Traurigkeit vertreiben willst, folge dem Bach, beobachte die Vögel und lausche dem Konzert des Windes im Wald.
Wenn dich dein Herz nicht loslässt, es dich drängt und dir befiehlt, folge ihm.
Wenn du verliebt bist, liebe.
Wenn du nicht mehr weißt, wohin du sollst, erinnere dich, woher du kommst.
Schau nicht so traurig, mein kleiner, schlauer Fuchs, ich verlasse dich nicht. Du weißt doch, dass es nur meine Seele ist, die sich von ihrem alt gewordenen Körper befreit.
Hier, nimm dieses Hirschlederarmband. Mein Vater hat es mir vererbt. Nun soll es dir gehören. Du kennst ja seine Bedeutung, weißt um seine Geschichte. Ich trug dieses Band, als deine Urgroßmutter und ich zueinander fanden. Trage auch du es erst, wenn du spürst, die Frau deiner Bestimmung getroffen zu haben.
Hier, nimm auch diesen Glückserdapfel. Weißt du, woher er stammt? Sieh ihn dir genau an, schau wie klein er ist, fühl, wie steinhart. Das liegt an seinem hohen Alter, mein kleiner Fuchs. Es ist jener Erdapfel, den einst die Alte unseren Urahnen auf ihrer ersten Reise mitgegeben hat. Es ist jener Erdapfel, den sie in die Rocktasche von Lillis Mann plumpsen ließ. Es ist der Erdapfel, der seit weit mehr als hundert Jahren im Besitz unserer Sippe ist. In ihm ist so viel Glück und so viel Erfahrung gespeichert, dass er vor Energie eigentlich platzen müsste. Er hat unseren Ahnen geholfen und ebenso hat er mir gute Dienste erwiesen. Er wird auch dir beistehen.
Versuch jetzt zu schlafen, mein kleiner, schlauer Fuchs. Und wenn du morgen aufwachst und ich habe meinen Körper verlassen, dann wirst du nicht weinen. Und wenn, dann nur aus Freude mit mir, dass ich zu meinem Selbst zurückkehren durfte, zur Mutter, zur Erde. Wenn du morgen aufwachst, mein kleiner, schlauer Fuchs, dann wirst du nicht traurig sein. Wenn du morgen aufwachst, wirst du erwachsen sein. Schlaf gut, mein großer, schlauer Fuchs.
Glossar
Bari: Großvater
Beng: Teufel
Biberling: Winter
butten: essen
Do schpaun au! Do is jo a Wimper!: Da schau her! Da ist ja eine Wimper!
Eichkatzerl: Eichhörnchen
Funk: Lagerfeuer
Funkplatz: Lager- bzw. Feuerplatz
Gadscho (Ez.), Gadsche (Mz.): Sesshafte, Nicht-Zigeuner
gadschen: schwätzen, reden
Gani: Huhn
Gfunkerter: Schnaps
glosen: schauen
Gschutzter: Idiot
Hitzling: Sommer
Karner: Schimpfwort für Jenische; jemand, der einen Karren zieht
Katzelmacher: Schimpfwort für Italiener
Korlass: Wein
Lowi: Geld
Mexikaner: aufwändiges Eintopfgericht, Festtagsspeise der Fahrenden
Mulo: Totengeist
Pflam: Bier
Restlinggrube: Hohlraum unter einem Restling (großer, von der Witterung abgerundeter Granitstein)
Scheinling: Augen
Stachling: Igel
Stachlingbraten: Igelbraten
Tschugglbossert: Hundefleisch
Ortsgeschichte von Amaliendorf: Othmar Karl Matthias Zaubek: »Ortsgeschichte von Amaliendorf«, Schrems, 1967, (Die Namen des Bürgermeisters und des NSDAP-Ortsgruppenleiters sind im Originalheft nicht abgekürzt. Ein Zusammenhang zwischen der Romanfigur Tschukal und dem damaligen Ortsgruppenleiter beziehungsweise zwischen der Romanfigur des Bürgermeisters und dem tatsächlichen damaligen Bürgermeister besteht nicht.)
Dank
gilt allen Fahrenden, deren reiche Leben, bunte Erinnerungen, stille Momente und schöne Weisheiten dieses Buch geschrieben haben.
Danke für eure Unterstützung und die Einblicke, die ihr mir geschenkt habt: Alois, Daniel, Franz, Robert Huber (Präsident
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