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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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Flur. Wohnung und Praxis lagen sich im Erdgeschoß des
Hauses gegenüber, enorm günstig für einen Langschläfer wie mich.
    Im Sprechzimmer zog ich den Vorhang
zurück und öffnete einen Fensterflügel. Das Licht überschwemmte den weißen Lack
der Einrichtung, und die Instrumente glitzerten freundlich, obgleich sie noch
nicht bezahlt waren.
    Mein Sprechzimmer war nicht groß, aber
gemütlich, und die Leute wurden schnell warm darin. Sie kamen in einen Stuhl an
der rechten Seite des Schreibtisches, zwanglos, aber nicht zu bequem, um ihnen
das Aufstehen zu erleichtern. Ich selber hatte einen Bürosessel, in dem man
nach hinten kippen und ausruhen konnte, wenn einer seine Beschwerden zu endlos
schilderte. Der Schreibtisch strahlte in Weiß. Auf der Platte hielt ich
entgegen meiner Veranlagung leidliche Ordnung, um als ordentlicher Mensch
größeres Vertrauen zu erwecken. Neben dem Patientenstuhl stand ein kleinerer
Tisch mit Glasplatte, darüber hing ein niedlicher Wandschrank, und beides bot
genügend Platz für die Sachen, die ich laufend und immer brauchte. Auf den
Platz, der zur Tür hin noch übrig war, hatte ich meine Waage hingestellt, und
dort konnten wohlsituierte Damen seufzend feststellen, daß es wieder zwei Kilo
mehr geworden waren.
    Hinter mir an der gegenüberliegenden
Wand stand das Untersuchungsbett. Dann kam ein beachtlicher
Instrumentenschrank, ein Traum aus Metall und Glas, fürchterlich teuer, und
darin lagen sauber aufgereiht und in völliger Ruhe die Instrumente und Geräte,
die kaum oder nie gebraucht wurden. Von manchen wußte ich nicht einmal genau,
wozu sie da waren, aber sie flößten den Leuten Ehrfurcht ein und leichte Besorgnis.
Und schließlich stand neben dem Schrank ein staubbedecktes Bücherregal mit
ebenso staubbedeckten Büchern. Sie stammten größtenteils aus der Studienzeit
meines Vaters, und was darin stand, war ebensowenig neu wie die Einbände. Aber
für den Laien sahen sie aus, als wäre das gesamte medizinische Wissen der Welt
in ihnen enthalten.
    Auf dem obersten Brett stand stumm und
allein der Totenschädel, an dem mein Vater und nach ihm ich die Anatomie des
knöchernen Kopfes gelernt und wieder vergessen hatten. Mitsamt dem Regal gab er
einen schönen Gegensatz zu dem sterilen Weiß ab, und die Leute warfen
ängstliche Blicke nach ihm. Wahrscheinlich dachten sie daran, wie sie eines
Tages aussehen würden.

    Ich setzte mich in meinen Kippstuhl,
riß das Kalenderblatt mit dem gestrigen Datum ab, rückte den Tagesstempel um
eine Nummer weiter und probierte ihn auf dem Blatt aus. Dann prüfte ich die
Rezepte und Formulare und stempelte mir einen neuen Vorrat von
Überweisungsscheinen. Als ich fertig war, zog ich mir den Kasten mit der
Privatkartei heran.
    Der Bestand an Privaten war äußerst
mager. Kein Wunder. Erst seit einer Woche saß ich auf dem Kippstuhl in diesem
Zimmer. Doktor Harding war plötzlicher gestorben, als es sich für einen Arzt
gehörte. Er ruhte jetzt inmitten seiner dankbaren Patienten, und nach einigem
Kampf mit dem Zulassungsausschuß hatte ich mein Firmenschild an der Stelle
anbringen dürfen, wo vorher seines gewesen war. In einem Anfall von Deutschtum
haben meine Eltern mich Michael genannt, und dazu heiße ich auch noch Klein,
trotz meiner unangenehmen Länge.
    Auf Grund des mageren Bestandes fand
ich die Karte von Frau Jenny Herwig schnell wieder. Sie war abgegriffen, und
das rote P auf der linken Ecke war verblaßt. Unter die Personalien hatte
Harding in Stichworten die Vorgeschichte hingeschrieben, ganz genau, von den
Masern angefangen. Aber die Hauptsache war das Herz. Beratung, eingehende
Untersuchung, EKG, Besuch, Digitalis, wieder EKG, wieder Digitalis, und weiter
so, von Datum zu Datum. Zuletzt nur noch Besuche und Rezepte, ein halbes Jahr.
Eine ergiebige Krankheit, das konnte man sagen. Und jetzt, wo ich an der Reihe
war, mußte sie sterben.
    Ich schämte mich dieser Gedanken nicht,
sondern machte noch einen Eintrag.
    15. Mai, Nacht-Eilbesuch, 21 Uhr 30.
Exitus let. Diagnose: Schwerer Herzmuskelschaden, absolute Arrhythmie,
Herzstillstand. Totenschein ausgestellt.
    Eine Weile noch starrte ich die Karte an
und meine Schrift. Ich dachte wieder an gestern, an das dunkle Haus mit der
toten Frau und an meinen Traum. Er war jetzt vollständig weg, verwischt, nur
ein Fetzen noch da. Vojj leeren Flaschen hatte ich geträumt, aber davon träume
ich oft und wünsche, sie wären voll, kein Grund zur Aufregung.
    Ich schob die Karte zurück und

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