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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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und sie stritten sich herum, wie sie es
als Kinder auch getan hatten.
    «Nein», antwortete die alte Dame. «Sie
hat zwei Zimmer vermietet. Fräulein Dachsfeld kümmerte sich sehr nett um sie.
Ihre Aufwartung kam dreimal in der Woche. Und ich habe natürlich— »
    «Natürlich», sagte ich.
    Sie schluckte. «Und heute abend— da
habe ich gleich angerufen— »
    Ich zog das Formular aus meiner Mappe.
    Alles ganz klar. Keine Sensation,
alltäglicher Fall.
    Ein altes Herz, das aufgehört hatte zu
schlagen.
    Sie sagte mir die Personalien.
    Jenny Herwig. Geboren am 15. Januar
1888. Die alte Dame hatte den gleichen Gedanken wie ich.
    «Nächstes Jahr hätte sie ihr Zweiundsiebzigstes
erlebt. Zusammen mit mir. Und nun— »
    Ich schrieb weiter. Ich kannte auch
ihre Karteikarte und wußte Bescheid. Sie waren Zwillinge.
    Ich wurde schnell fertig. Grundleiden,
unmittelbare Todesursache. Verdacht auf unnatürlichen Tod? Nein. Ich drückte
meinen Stempel darunter und unterschrieb, unleserlich wie immer.
    Das war ich meinem Beruf schuldig.
    «Sie müssen ihn dem Bestatter
übergeben, gnädige Frau», sagte ich. «Er sagt Ihnen alles weitere. Kann ich
sonst noch irgend etwas tun?»
    Sie schien mich loswerden zu wollen.
    «Nein, nein, vielen Dank— ich habe Sie
so spät noch— »
    «Das macht gar nichts», log ich mit
freundlicher Miene. «Darum machen Sie sich bitte keine Sorgen. Wenn irgend
etwas ist— nur anrufen.»
    Sie gab mir die Porzellanhand.
    «Vielleicht komme ich zur Untersuchung
zu Ihnen. Die ganze Aufregung und— »
    Sie war Privatpatientin wie ihre
Schwester.
    «Das wäre wirklich nett von Ihnen»,
sagte ich. «Wenigstens Sie sollen Ihren achtzigsten Geburtstag feiern.»
    Sie lächelte schwach. Sie schien nicht
überzeugt davon. «Auf Wiedersehen, Herr Doktor. Ich danke Ihnen.»
    Ich murmelte noch etwas. Wir gingen
hinaus auf die dunkle Diele. Der steinerne Goethe blickte mir nach. Die
Wohnungstür schlug zu. Die Treppe drehte sich spiralig nach unten und roch nach
altem Öl.
    Über der Straße hing ein halber Mond
mit einem kalten Hof von Licht. Ich warf noch einen Blick hinauf, wo die alte
Dame mit ihrer toten Schwester allein war. Mir war, als wäre ich aus dem
vorigen Jahrhundert wieder aufgetaucht in meine Welt von heute und als wäre ich
lange weggewesen.
     
     
    Ich wachte auf aus einem Traum, der
irgend etwas mit dem vergangenen Abend zu tun hatte. Ein paar flaue
Lichtstreifen fielen durch die Ritzen des Rolladens über mein Bett. Ich sah auf
die Uhr. Halb acht.
    Ich kreuzte die Hände hinter dem Kopf
und dachte nach. Den Traum bekam ich nicht mehr hin. Ich sah die alte Dame,
Goethe und das Klavier und die muffige Dunkelheit. Ich überlegte mir jede
Minute meines Besuches, ohne zu wissen warum. Ich hatte plötzlich das Gefühl,
als wäre bei allem von gestern abend etwas Merkwürdiges gewesen, seltsame
Dinge, die nicht dorthin gehörten. Ich fand es nicht wieder. Einbildung
wahrscheinlich. Als ich noch einmal nachzudenken versuchte, fing mein Wecker zu
lärmen an, hoch, schrill, endlos.
    Ich ließ ihn auslaufen, um die Feder zu
schonen. Dann kippte ich ächzend die Beine über den Rand des Bettes, wischte
mir eine Träne aus dem rechten Auge und fuhr in meine Filzlatschen.
    Während des Waschens dachte ich daran,
daß Mittwoch war, von den Besuchen abgesehen ein freier Nachmittag, und meine
Laune stieg um ein paar Grad.
    In der Küche setzte ich das Teewasser
auf, und es kochte, als ich angezogen war. Ich briet mir Schinken und Eier, wie
jeden Morgen, es ging schnell und machte wenig Arbeit. Dann aß ich und las
dabei in der Zeitung, daß von sieben Menschen auf der Erde nur einer satt würde
und daß es einen Haufen hungriger Gebiete gäbe. Also war ich mit meinem
Junggesellenfrühstück noch gut dran.
    Ich trank in Ruhe eine zweite Tasse
Tee. Dann stellte ich das Geschirr in den Ausguß, damit sich meine fleißige und
ehrliche Aufwartung seiner annehmen könnte. Wenigstens hatte ich mit diesen
Worten annonciert; und sie hatte sich gemeldet. Jedesmal, wenn sie mich
erwischte, machte sie mir klar, was ich als Unverheirateter alles versäumen
würde, und ich sah sie an und glaubte ihr. Sie nahm immer Rezepte für den
ganzen Häuserblock mit und zählte auch alle Krankheiten auf, die dort
grassierten, aber sie hielt die Bude leidlich in Ordnung. Umsonst ist nichts.
    Ich band einen vornehmen Windsor-Knoten
in meine Krawatte, zog meinen Mantel an und ging zur Praxis hinüber. Ich
brauchte bloß über den

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