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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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Eis.
    Der Rektor fragte: «Nun, meine Herren?
Zweifeln Sie noch an meiner Geschichte?»
    Es war ein höllischer Spuk. Er war
nicht da und sprach. Ich fühlte feine, feuchte Perlen auf meiner Haut. Daniel
hielt die Pistole auf die Tür gerichtet. Seine Augen waren ratlos.
    Dann kamen leichte Schritte näher auf
dem Flur. In der Tür erschien der Rektor. Wie Schopenhauer. Wie ein Mensch, der
jedes Problem lösen kann.
    Er sah uns und die Waffe in Daniels
Hand. Langsam kam er näher. Am Fußende des Bettes blieb er stehen. Sein Gesicht
war aus Granit.
    «Jetzt sieht sie wieder aus wie vor
langer Zeit», sagte er.
    Daniel steckte die Pistole ein. Der
Rektor sah ihn an.
    «Sie wundern sich, Herr Kommissar? Das
Rätsel ist einfach. Sie haben mich von unten sprechen hören. Auch Agnes konnte
jedes unserer Worte verstehen. Der Lautsprecher ist hier.»
    Er kam herüber auf meine Seite. Seine
Hand faßte hinter die Bespannung, die das Kopfbrett des Bettes überzog. Eine
runde Metalldose an zwei Drähten.
    «Das Mikrophon ist unten in der
Kaminuhr. Es ist auch eins im Mädchenzimmer und eins in der Küche. Agnes war
mißtrauisch. Ihr schlechtes Gewissen zwang sie dazu. Sie wollte hören, was in
ihrem Hause gesprochen wurde. Jedes Wort. Deswegen hat sie sich diese Anlage
bauen lassen. Niemand wußte etwas davon.»
    Daniel bewegte die Lippen. Sie waren
trocken und spröde.
    «Und— woher— ?»
    Der Rektor lächelte. Alle Faune und
Satyre, die es gab, waren in diesem Lächeln.
    «Ein Schüler, meine Freunde. Einer
meiner treuen Schüler. Er war ausgezeichnet in den mathematischen Fächern. Er
hat heute ein großes Elektrogeschäft. Er baute ihr diese Anlage. Vor einem
alten Lehrer hat man keine Geheimnisse.»
    Wir brachten kein Wort heraus.
    «Ich wußte, daß meine Geschichte schwer
zu beweisen ist. Ich wußte auch, daß sie in der letzten Nacht bestimmt zuhören
würde, was Sie unten sprechen. Um zu erfahren, ob irgendein Verdacht gegen sie
besteht. Deswegen bin ich gekommen. Ich habe meine Geschichte erzählt. Laut und
deutlich. Sie mögen mich verurteilen. Ihr Tod ist der Beweis, der uns fehlte.»
    Er sah das Blatt, das ich noch immer in
der Hand hielt. Vorsichtig zog er es aus meinen Fingern.
    «Ja. Ja, das ist ihre Schrift. Fast
noch genauso wie vor zweiundfünfzig Jahren, als sie Einsen in ihren Arbeiten
schrieb.»
    Langsam taute die Eisplatte in meinem
Körper. Sehr langsam. Es war nicht schlimm gewesen. Es war nichts gegen die
Höllenqual, die Agnes ausgestanden hatte, als sie die Stimme des Rächers hörte
über ihrer Stirn.
    Daniel drehte sich um. Er griff zur
Nachttischplatte. Seine Finger hielten zwei kleine Flaschen. Sie waren beide
leer.
    Digitalistropfen.
    Eine der Flaschen war ganz neu. Das
rote Papier, das die Kappe verschloß, lag auf dem Nachttisch.
    Es war die Flasche, die ich mitgebracht
hatte für die Reise. Agnes hatte sie angetreten, und sie war weiter fort, als
je ein Flugzeug sie tragen konnte.
    Auf dem Nachttisch stand noch ein
leeres Wasserglas mit einem dünnen bräunlichen Bodensatz. Und daneben das Bild.
Querformat und Silberrahmen. Fünf Mädchen aus einer Klasse. Fünf Gräber auf
einem Friedhof.
    Daniel stellte die Flaschen zurück. Er
hob langsam den Hörer des Telefons ab, das an der hinteren Kante der
Nachttischplatte stand. Er betrachtete ihn schweigend. Dann hielt er ihn
plötzlich zu mir herüber.
    «Michel— sieh mal!»
    Ich verstand ihn nicht. Er klopfte auf
den Sprechtrichter.
    Dann sah auch ich es.
    Der Apparat war ein altes Modell mit
großem Gehäuse und vernickelter Wählscheibe. Der Hörer war abgegriffen und matt.
Aber der Sprechtrichter glänzte, und kein Riß durchzog die Lackschicht.
    «Neu», sagte Daniel. «Deine Geschichte
stimmt. Sie hat einen neuen Trichter gebraucht. Der alte ist verbrannt— als sie
hineinschoß und Bertha ermordete.»
    Mit einer
schnellen Bewegung zog er die Schublade auf. Wir alle sahen den kleinen
Revolver auf seiner Handfläche. Ein blinkendes, niedliches Spielzeug.
    Die Trommel klickte leise, als Daniel
sie drehte. Nacheinander fielen die blinden Hülsen heraus. Bis auf eine. Eine
saß fest. Sie war abgeschossen und klemmte.
    «Das konnte nur Agnes einfallen», sagte
der Rektor.
    «Eingefallen ist es einem anderen»,
antwortete Daniel. «Aber sie fand es gut.»
    Er wandte sich dem alten Mann zu.
    «Ich bin in Ihrer Schuld, Herr
Professor. Sie haben meine Arbeit getan.»
    Der Rektor legte seine Hände auf die
untere Kante des Bettes.
    «Danken Sie

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