Fuenf Maenner Fuer Mich
erfolglos kontrolliert haben, geben sie einen kurzen Lagebericht ab: „Wir haben niemanden gefunden, aber vor der Haustüre lag eine leere Flasche eines alkoholischen Mixgetränkes, vermutlich ist er wieder abgezogen.“ Ich bedanke mich für ihre Hilfe und lasse mich erschöpft in die zerwühlten Kissen meines Bettes fallen.
Am nächsten Morgen weckt mich ein Anruf meines Freundes Gregor. „Was ist passiert?“, fragt er besorgt. „Du hast mich gestern Nacht 17 Mal angerufen!“ Ich erzähle ihm von meinem Albtraum. Als ich das seltsame Wort erwähne, das der Klingelwahnsinnige sagte, stutzt Gregor: „Dann war es doch nicht am Ende Bastian, mein Freund von gestern Abend? Auch wenn es ihm völlig wesensfremd wäre.“
Ich breche in lautes Lachen aus. „Ist die Fantasie mit dir durchgegangen? Dieser nette, gebildete junge Mann? Im Leben nicht! Komm bitte zu dir!“
Gregor hat manchmal wilde Komplott-Theorien, wie ich finde, aber jetzt ist er definitiv zu weit gegangen. Dieser süße Typ von gestern Abend? Wie gemein von Gregor, ihm so etwas zuzutrauen.
„Ich werde das für dich rausfinden, keine Sorge“, versichert er. „Aber Bastian fliegt heute erst mal für ein paar Wochen in Urlaub. Lass mir ein bisschen Zeit.“
Sollte das nach meiner Trennung wirklich mein erster Kontakt mit dem anderen Geschlecht gewesen sein? Was für ein Einstieg.
Wer bin ich?
Wieder legt sich die Nacht über mein Stadtviertel. Der Tag ist vergangen, ohne dass ich etwas Nennenswertes getan habe. Früher war ich die Effektivität in Person, sprühte vor Schaffenskraft. Freunde munkelten etwas von „Workaholic“. Jetzt bin ich froh, wenn ich die Kennzahlen feststelle, die mein Leben umgeben. Dazu gehört das Ablesen des Datums vom Handy. Welche Info-Flut! Welcher Monat ist gerade: Ach, es ist Oktober. Mildes Licht, weil Herbst ist. Welcher Wochentag? Sonntag? Oh, ein Grund, nicht im Büro zu sein und schnell wieder den PC auszuschalten. Und meine Visitenkarte, was da alles steht! Mein Name, eine klare Bestimmung meiner Person. Der Name meiner Straße. Mein Zuhause, Heimat ist lebenswichtig. Der Name meiner Stadt, auch sie ist Heimat, im weiteren Sinne.
Ich schalte zurück auf den Vornamen. Das reicht. Wochenlang schreibe ich überall meinen Vornamen hin. Den Schreibtisch dekoriere ich mit einer chinesischen Kalligrafie. Ich hänge Namensschildchen an mein Fenster und füge die Jahreszahl in großen Lettern hinzu. Jahreszahl und Vorname.
Sind Wochen oder Monate vergangen seit dem Tag null? Mein Zeitgefühl ist verschüttet. Zum Glück schreibe ich jeden Tag mehrmals in meine zerfledderten Notizbücher, die ich bei mir trage wie eine Katze ihre halb tot gebissenen Mäuse. Ich lese das Geschriebene immer wieder durch, damit ich überhaupt weiß, wo ich stehe und was ich gerade getan habe. Ich habe einen Therapieplatz bei einem Psychologen bekommen. Herr Thieme diagnostiziert eine schwere Depression. Schön, jetzt hat diese grausliche Qual wenigstens einen Namen!
Zur ersten Sitzung bei Herrn Thieme fahre ich mit dem Fahrrad eine Viertelstunde von meiner Wohnung zu seiner Praxis. Auf dem Rückweg verirre ich mich. Verfranse mich in allerlei Einbahnstraßen, fahre an Schrebergärten vorbei und lande schließlich auf einer Autobahnzufahrt. Ich und mein rotes Fahrrad, auf das ich so stolz bin. Ich habe es mir zum Trost vor ein paar Wochen selbst geschenkt. Wie ein Häuflein Elend stehen wir da. Autos und Lkws düsen an uns vorbei und ich breche in Tränen aus. Über eine Stunde benötige ich, um den Rückweg zu finden.
Alle Alarmglocken schrillen. Die Orientierungslosigkeit meiner Seele hat die Realität erreicht. Mein bisher bekannter Kosmos hat sich als Trugbild erwiesen. Der glückliche Planet, bevölkert von grinsenden, Hand-in-Hand spazierenden Pärchen ist ein Irrbild.
Nichts ist mehr wie vorher in meiner Welt. Es gibt kein Oben und kein Unten mehr, kein Rechts und kein Links. Ich muss die Himmelsrichtungen neu definieren, die Jahreszeiten. Ich muss wieder laufen und sprechen lernen, wie nach einem Schlaganfall. Ich muss mein Haus neu bauen. Ja, so albern das auch klingt, ich sehe vor mir ein Haus in Trümmern, so ähnlich wie die Szenerien nach einem Erdbeben.
Das Dach ist kaputt, über mir ziehen dunkle Wolken bedrohlich über den Himmel. Ich brauche ein Dach! Doch worauf soll dieses verdammte Ding gebaut werden? Da sind keine Wände, keine Säulen, keine Balken, die es tragen. Ich denke nach. Ich brauche erst mal
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