Für alle Fragen offen
gestehen musste, dass ohne Liebe auch der Olymp öde ist, als Friedrich Wetter, Graf vom Strahl, unter einem Holunderbusch das schlafende Käthchen umarmte – da bildeten der Sinn und die Sprache eine Einheit, so makellos und vollkommen
wie in jener Zeit nur noch bei Goethe, bei Hölderlin.
Jedoch: Wer damals beim preußischen Hof ein Drama einreichte, dessen Held, ein preußischer Prinz und General, zusammenbricht, bei zwei Frauen um Gnade bettelt, nichts anderes als leben will und noch lauthals verkündet, er frage nicht, ob dies rühmlich sei – wer allen Ernstes glauben konnte, er werde sich nun der Gunst dieses Hofes erfreuen, dem war in Preußen nicht zu helfen.
Heinrich von Kleist war ein Genie und ein Narr zugleich – und vielleicht hätte er das eine nicht ohne das andere sein können.
Es ist bekannt, dass Sie eine Vorliebe für die Dramen von Shakespeare haben. Welche dieser Dramen würden Sie den Lesern besonders ans Herz legen?
Die Tragödie des Intellektuellen (Hamlet). Die schönste Liebestragödie der Weltliteratur (Romeo und Julia). Das interessanteste politische Drama (Julius Cäsar). Das Lustspiel Was ihr wollt, das ich mehr liebe als den Sommernachtstraum. Und warum? Wer sich die Mühe machen wird, diese Stücke zu lesen, dem wird an der Beantwortung dieser Frage wohl kaum gelegen sein.
John Updike wurde ja immer wieder als möglicher Nobelpreisträger genannt. Was begeistert an ihm vor allem?
Von John Updikes umfangreichem erzählenden Werk liebe ich vor allem die Geschichten. Sie lassen sich gut lesen und schwer beschreiben. Seine Diktion ist von preziösen Wendungen und erlesenen, allzu erlesenen Metaphern nicht ganz frei. Zugleich jedoch finden sich in seiner Prosa Abschnitte von betonter Schlichtheit und fast schon kokettes Understatement. Updike liebt sprachliche Askese nicht weniger als stilistischen Prunk. Ihm ist viel daran gelegen, die reale Umwelt seiner Personen anschaulich werden zu lassen. Aber manche Geschichten kommen fast ohne Milieuschilderung aus und büßen dennoch nichts an Qualität ein.
Überdies verbindet Updike die unterschiedlichsten Elemente der Prosa miteinander: Visionen und Reflexionen, Reportagen und dramatische Szenen, Anekdotisches und Philosophisches, kühle Berichte und hochgestimmte Monologe. Bieten also seine Geschichten ein disparates Bild? Es ist gerade umgekehrt: Nichts charakterisiert sie mehr
als ihre erstaunliche Einheitlichkeit. Nur ist sie jenseits des Handwerklichen, jenseits des Formalen und des Stilistischen zu suchen.
Auf die Frage, wen er im Don Quijote porträtieren wollte, soll der sterbende Miguel de Cervantes geantwortet haben: »Mich.« Gustave Flaubert verblüffte die Welt mit dem vielzitierten Bekenntnis: »Emma Bovary – das bin ich.« Updike hat, wenn ich mich nicht irre, keine autobiographischen Schriften veröffentlicht. Gleichwohl sind seine wichtigeren Arbeiten auf direkte und gleichwohl diskrete Weise eben autobiographisch.
Doch wäre es zumindest fahrlässig, irgendeine seiner Figuren mit dem Autor Updike zu verwechseln. Aber sie sind alle Projektionen und Möglichkeiten desselben Ichs, Variationen über dasselbe Thema. Wir haben es mit Bruchstücken eines großen Selbstporträts zu tun.
Was sich in diesen Geschichten abspielt, ist keineswegs sonderlich aufregend und meist vollkommen banal. So alltäglich die Schauplätze der Geschichten (Hörsäle, Studentenbuden, bürgerliche Wohnzimmer, Restaurants) und die skizzierten Situationen und so belanglos die meisten Vorfälle sind, so ernst nimmt sie
Updike. Er behandelt die Geschehnisse nicht als bloße Vorwände für die epische Darstellung: Er erzählt sie um ihrer selbst willen und nicht als Symptome.
Nur sind sie eben doch, ob er will oder nicht, zugleich auch Symptome. Denn was er erzählt, weist über sich selbst hinaus. Es signalisiert unentwegt und trotzdem unaufdringlich etwas sehr Allgemeines. Updike berichtet von gewöhnlichen Ereignissen und kreist dabei immer um ein einziges, das in seiner Sicht gar nicht mehr gewöhnlich, vielmehr ungeheuerlich und unfassbar ist. Es lässt sich noch am ehesten mit einer tautologisch anmutenden Formel beschreiben – um das Erlebnis des Lebens.
Weil er auch und gerade im Beiläufigen und Nebensächlichen stets Manifestationen des Daseins erkennt und ihm alles wie von selbst zum Zeichen gerät, bildet den Kern seiner Geschichten das Motiv der Vergänglichkeit. Damit mag es auch zusammenhängen, dass dieser Erzähler mit
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