Für ein Ende der Ewigkeit (Lilith-Saga) (German Edition)
sich eine zweite Tür, der Durchgang zum eigentlichen Vortragsraum. Ich öffnete sie. Vor mir stand ein großer Tisch, auf dem eine weiße Baumwolldecke lag. Der Bereich, in dem sich der Tisch befand, war durch einen Vorhang abgetrennt.
Noch konnte ich zurück. Ich brauchte mich nur umzudrehen und zu gehen. Aber ich hatte mich entschieden. Ich atmete durch und zwang mich zur Ruhe. Ich wusste, was ich zu tun hatte, also bereitete ich mich vor.
Schließlich saß ich da und wartete.
Die Zeit kann einem unheimlich lang werden, wenn man wartet.
Endlich wurde die große Tür geöffnet. Menschen strömten in den Saal, sie lachten und unterhielten sich. Ich konnte sie nicht sehen, aber ich hörte, wie sie geräuschvoll Platz nahmen. Wieder dauerte es eine Weile, bis das Scharren der Stühle nachließ.
Eine Stimme, vermutlich die eines Professors, erklärte Grundlagen der Zeichentechnik. Er erteilte seinen Studenten Anweisungen und Aufträge, worauf sie achten sollten. Dann wurde es still.
Der Vorhang wurde aufgezogen. Das leise Surren, das die Rollen der Gardinenhalter beim Gleiten durch die Schiene verursachten, schnitt mir durch die Magengrube.
Ungefähr dreißig Augenpaare waren auf mich gerichtet. Die Studentinnen und Studenten hielten große Blöcke, Bleistifte oder Zeichenkohle in den Händen und taxierten mich.
Ich ignorierte das Gefühl, auf dem Präsentierteller zu sitzen und suchte nach Johannes.
Er war nicht da.
Mir wurde übel.
Es war alles umsonst gewesen.
33
In dem Moment, in dem ich vorhatte, vom Tisch zu springen und aus dem Raum zu rennen, öffnete sich die große Eingangstür nochmals. Johannes betrat den Raum. Er trug wie die anderen einen überdimensionalen Zeichenblock unter dem Arm und eine Schachtel mit Kohlestiften in der Hand. Er hielt seinen Kopf gesenkt und ich erschrak über sein Aussehen. Er war blass, sah übernächtigt aus, hatte tiefe Augenringe und einen Dreitagebart. Sein Gesicht war ausdruckslos und auf Nichts und Niemanden gerichtet. Er suchte sich einen Platz, setzte sich und bereitete seine Malutensilien vor.
Erst jetzt blickte er auf.
Er betrachtete das Aktmodell.
Er betrachtete mich.
Mein Herz setzte einen Schlag aus und fing an, zu rasen. Nur mit äußerster Mühe unterdrückte ich ein Schaudern. Ich beobachtete ihn und sah, wie er noch blasser wurde. Seine Augen wurden schmal, wie damals als er mit Asmodeo in der Sporthalle geredet hatte. Dann schoss ihm das Blut ins Gesicht.
Ich weiß nicht, wie es mir gelang, aber ich zauberte ein entspanntes Lächeln auf meine Lippen, mit dem ich mich von ihm abwandte, um auf den Tisch zu schauen, auf dem ich saß. Trotz meiner gesenkten Lider konnte ich Johannes aber weiterhin gut durch die Wimpern erkennen.
Seine Hand verkrampfte sich um den Kohlestift, bis er mit einem lauten Knacken zerbrach. Ich zwang mich, ihn nicht anzusehen, sondern in meiner Position zu verharren.
Urplötzlich sprang er auf. Mit lautem Getöse stieß er den Tisch, an dem er gesessen hatte, zur Seite. Dann rannte er nach vorne zu mir. Der Professor rief ihm etwas zu, was ich nicht verstand und ich hörte im Hintergrund das aufgeregte Gemurmel der Studenten.
Aber da war Johannes bereits neben mir auf der Bühne. Er griff in den offenen Vorhang, fetzte mit aller Gewalt daran, bis er sich schloss. Er wandte sich mir zu, packte meine Hand, zog mich vom Tisch herunter und durch die Verbindungstür in die Garderobe hinein. Mein Schlüssel steckte von innen im Schloss. Johannes sperrte ab.
Wutentbrannt sah er mich an. Seine dunklen Augen waren wild, seine Pupillen stark erweitert. „Bist du von allen guten Geistern verlassen?“
Ich antwortete nicht. Obwohl sich meine Emotionen in mir regelrecht überschlugen, bezwang ich mein Zittern und wickelte mich in die Decke ein, die ich vom Tisch mitgenommen hatte, als er mich wegzog. Ich war nicht in der Lage zu sprechen, doch ich blickte ihn unentwegt an. Ich wollte nur in seine Augen schauen, mich in seinem dunklen Universum verlieren.
„Was fällt dir ein, hierher zu kommen!“ Sein Gesicht war verzerrt und er griff so fest nach meinem Oberarm, dass es schmerzte.
Ich begrüßte diesen Schmerz. Alles war besser, als ohne Johannes zu sein.
„Ich kann hingehen, wohin ich will“, sagte ich und riss mich frei.
„Aber du kannst nicht dahin kommen, wo ich bin!“
„Das siehst du doch, dass ich das kann.“
„Aber du kannst dich nicht so aufführen!“ Seine Stimme glich mehr einem gefährlichen
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