Fuer immer 2 - die Liebe
sofort bewahrheiten sich meine schlimmsten Befürchtungen: Im Nu sind meine Hände klatschnass und ich kriege Panik. »Eigentlich ist es nicht so sehr die Angst, ich könnte fallen«, gestehe ich, während ein Fahrradfahrer dicht an uns vorbeizischt. »Vielmehr befürchte ich, ich könnte für einen Moment diesem verrückten Impuls nachgeben und runterspringen, obwohl ich weiß, dass ich es schon in der ersten Millisekunde bereuen würde.«
»Das tun die meisten«, seufzt sie und schaut nachdenklich hinunter auf die Schaumkronen der Wellen. »Ich kenne einen Akhet, der sein vorheriges Leben auf diese Weise beendet hat, und der sagte auch, er habe es den ganzen Weg nach unten bereut … bis dann plötzlich das Wasser da war. Platsch.« Wir stehen schweigend nebeneinander und ich weiß, dass sie, genau wie ich, im Kopf die Sekunden zählt, die ein menschlicher Körper durch die Luft stürzen würde, bevor er mit von hier oben kaum wahrnehmbarem Aufspritzen des Wassers ins Meer eintaucht. »Komm, lass uns weitergehen«, reißt sie sich schließlich los.
»Ich kann nicht.« Allzu weit gekommen sind wir noch nicht, seit wir das rettende Ufer mit seinen meerumspülten Felsen hinter uns gelassen haben, noch nicht mal bis zur Mitte der Brücke.
»Klar kannst du. Setz einfach immer einen Fuß vor den anderen.«
Ganz vorsichtig nehme ich eine meiner Hände vom Geländer. »Unter einer Bedingung: Ich gehe innen, zur Straße hin.«
»Okay«, willigt sie ein und schlendert los, ohne auf mich zu warten. »Dir ist klar, dass die Gefahr, hier oben von einem Auto überfahren zu werden, wesentlich größer ist als die, versehentlich über das Geländer zu stürzen?«, fragt sie beiläufig über die Schulter.
»Das Risiko gehe ich ein.« Und tatsächlich fühle ich mich gleich besser, als ich ein paar Schritte zwischen mich und den Rand der Brücke gebracht habe.
Janine schenkt mir ein Lächeln, das dem von Griffon ziemlich ähnelt. Zwar hat sie viel dunklere Haut als er, aber immer wieder erinnert mich eine Geste oder ein Gesichtsausdruck daran, dass die beiden nicht nur durch das Akhet-Sein miteinander verbunden sind, sondern dass Janine in diesem Leben auch seine leibliche Mutter ist. Ich frage mich, ob es für sie seltsam ist, dass ich mit ihm zusammen bin.
Zum ersten Mal, seit wir auf der Brücke sind, nehme ich all die anderen Menschen auf dem Gehweg wirklich wahr. Es ist zwar ungewöhnlich klar und sonnig für einen Sommertag in San Francisco, aber der Wind ist eisig, darum haben sich die meisten fest in ihre Jacken eingemummelt. »Hier draußen sollen wir Empathie üben, mit all den Leuten drum herum?«
»Klar!«, sagt Janine. »Wer weiß, vielleicht hilft die frische Luft sogar.« Eine nette Art zu sagen, dass es in den letzten Wochen, wenn wir uns in ihrem Büro an der Uni getroffen haben, nicht besonders gut gelaufen ist. Den bisherigen Versuchen nach zu urteilen, kann es mit meinen Fähigkeiten nicht sehr weit her sein.
»Wenn du meinst.«
»Ja, meine ich. Du hast wohl noch nie gehört, dass man für alles, was man neu lernt, ganz egal was, mindestens zehntausend Übungsstunden braucht? Ich wette, in deinen verschiedenen Leben hast du noch weit mehr Zeit mit dem Cello verbracht.«
Sie wirft einen kurzen Blick auf die Narbe an meinem linken Arm. Die zerbrochene Scheibe ist längst repariert, aber es sieht so aus, als sei der Schaden an meiner Hand irreparabel. Veronique hat es geschafft, im Bruchteil einer Sekunde und mit einer einzigen langen Glasscherbe meine Zukunft radikal zu verändern. Vorher war ich mir vollkommen sicher, dass ich eines Tages mit dem Cello auf Konzertreisen in der ganzen Welt gehen würde. Jetzt kann ich kaum mehr einen Bogen halten, geschweige denn die komplizierten Fingersätze einer Partitur bewältigen.
»Hm«, sagt Janine, »das Cello war dir in diesem Leben sehr wichtig, und was du aus deinen vorherigen Leben erinnerst, deutet darauf hin, dass es in der Vergangenheit ebenso war, doch vielleicht ist diese Zeit jetzt einfach vorbei.«
Natürlich weiß ich, dass sie vermutlich recht hat, aber trotzdem zucke ich bei ihren Worten innerlich zusammen. Sie klingen so schrecklich endgültig. »Mom und Dad sehen das nicht so«, murmele ich. Es ist so viel leichter, meine Ängste auf die beiden abzuwälzen. »Sie glauben, dass ich schon bald wieder spielen werde, ganz egal, was die Ärzte sagen.«
»Und was glaubst du?«
Ich hole tief Luft und werfe durch die Stäbe des Geländers einen
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