Für immer tot
ihren Kollegen von der Kripo zu helfen, alles zu tun, was Paul von ihm will, und dann sagt sie noch, dass sie jetzt auflegen muss. Dass sie nicht weiß, wie viel Zeit sie noch hat, dass sie nicht weiß, wie lange sie noch sprechen kann, wie lange der Akku noch hält.
Melde dich in einer Stunde wieder, sagt sie.
Dann ist ihre Stimme weg.
So schnell sie plötzlich da war, so schnell ist sie verschwunden. Es ist still auf der Terrasse. Da ist kein Wort. Nur das Telefon, wie es daliegt, bedrohlich, bunt.
Zwei
Max googelt.
Mitten in der Nacht seine Finger, wie sie wild die Tasten berühren, wie sie nach der Betriebsanleitung suchen für dieses Handy, wie sie wissen wollen, wie lange sie noch sprechen kann, wie viel Zeit sie noch hat. Wie viele Stunden, Minuten, wie lange sie noch bei ihm sein wird, wie lange sie Licht hat. Wie lange sie überleben kann, ohne Nahrung, eingepfercht unter der Erde. Er googelt, er will Antworten, gehetzt liest er, sucht weiter, klickt, flucht, während Baroni die Tür aufmacht.
Sie stürmen nach oben.
Zehn Beamte durch das Treppenhaus, im Vorraum, im Wohnzimmer, auf der Terrasse. Plötzlich überall Stimmen, plötzlich so viele Fragen. Wie sie jeden Winkel der Wohnung absuchen, das ganze Haus auf den Kopf stellen, in Tildas Wohnung eindringen, nach Spuren suchen, nach etwas, das ihnen weiterhilft, das ihnen sagt, wo sie ist.
Max starrt in den Bildschirm. Erst als Paul neben ihm steht, ihm seine Hand auf die Schulter legt, dreht er sich zu ihm um, schaut ihn an. Er schüttelt den Kopf.
Was passiert hier, fragt er.
Max schweigt. Er kann nichts sagen, starrt in den Bildschirm, er muss warten, bis die Stunde um ist, bis er sie wieder anrufen kann. Das Telefon liegt vor ihm. Er hat Angst. Er weiß, dass er nur den Knopf drücken müsste, dass sie dann wieder da wäre, ihre Stimme, er weiß es. Eine Stunde, hat sie gesagt. Er will mehr wissen, er will, dass Paul diesen Wagner findet, den Mann, den Tilda erkannt hat, er will, dass er ihnen sagt, wo sie ist, er muss sie finden, er muss.
Baroni redet.
Noch einmal berichtet er, was passiert ist, wie er das Handy gefunden hat, wie sie die Nummern gewählt haben, wie da plötzlich Tildas Stimme war. Max hört ihnen zu, er will keine Zeit verlieren, er versteht nicht, warum all die Menschen in seiner Wohnung sind, in seinem Haus, in Tildas Wohnung, überall weiße Overalls, Beamte, die alles auseinandernehmen. Er hört, wie Paul über Wagner redet, Max will wissen, wer dieser Mann ist, was er getan hat, warum Tilda ihn ins Gefängnis gebracht hat. Er dreht sich zu Paul um und bittet ihn weiterzureden.
Es ist die Geschichte vom Kindermacher, die Paul erzählt.
So hat man ihn damals in den Medien genannt. Wagner war ein erfolgreicher Reproduktionsmediziner, der vor achtzehn Jahren wegen Mordes verurteilt wurde. Er hat seine Frau umgebracht, vorsätzlich, weil er verhindern wollte, dass sie sein Geheimnis verriet, dass sie alles kaputt machte, seine schöne, kranke Welt.
Paul erinnert sich, er war damals ein junger Polizist, Tilda ermittelte in dem Fall, sie brachte Wagner zu Fall, sie brachte ihn dazu, ein Geständnis abzulegen, ihretwegen wurde er verurteilt. Sie deckte alles auf. Was er all den Frauen angetan hatte.
Der Kindermacher hatte seine Patientinnen nicht mit den Samenzellen der potentiellen Väter befruchtet, sondern mit seinen eigenen. Heimlich, gierig, besessen von der Idee, sich hunderte Male fortzupflanzen. Frauen, die zu ihm kamen und Hilfe suchten, um endlich ein Kind zu bekommen, hatte er betrogen und getäuscht. Beispiellos war der Fall, es war nie etwas Vergleichbares passiert, Wagner hatte alle Grenzen überschritten. Unzählige Frauen waren betroffen, ein Bruchteil von ihnen hatte sich bereiterklärt, einen Vaterschaftstest bei ihren Kindern vornehmen zu lassen. Tilda hat alles aufgedeckt, sie hat ihn überführt, sie hat Wagner ins Gefängnis gebracht.
Während Paul erzählt, versucht Max sich zu erinnern. Tilda hat nie viel über ihre Arbeit gesprochen. Keine Details, sie versuchte immer, die schäbige Welt des Verbrechens vom Friedhofswärterhaus fernzuhalten, Max nicht zu beunruhigen. Nichts über den Kindermacher. Kein Wort, er erinnert sich an nichts. Vor achtzehn Jahren, sagt Paul.
Da lebte sein Vater noch, Max war ein Teenager, die Welt war ihm egal, für Nachrichten interessierte er sich nicht, der Skandal in der angesagtesten Kinderwunschklinik weit und breit war an ihm vorübergegangen.
Paul sagt,
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