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Für immer tot

Für immer tot

Titel: Für immer tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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einer Holzkiste und verschwand unter der Erde. Max verbrachte jeden Tag Stunden an ihrem Grab, er redete mit ihr, aber er bekam keine Antworten. Sie kam nicht wieder, egal wie lange er wartete, egal wie viele Blumen er in die Erde setzte, wie viele Lieder er ihr vorsang, sie blieb unten vergraben. Für immer. Bis heute.
    Als Tilda kam, war Max zehn Jahre alt.
    Sie saß am Küchentisch und sein Vater erklärte ihm, dass sie bei ihnen wohnen, dass sie einziehen würde. Unbeholfen schlug Bert Broll ein neues Kapitel im Leben von Max auf. Dass Tilda ein wundervoller Ersatz für eine verlorene Mutter werden würde, ahnte Max damals noch nicht. Tilda wurde ein Teil seines Lebens, ein guter Teil. Sie war behutsam, ließ ihm Zeit, sich an sie zu gewöhnen, drängte ihn nicht, war einfach nur für ihn da, wenn er sie brauchte. Max begann sie zu lieben. Tilda begann ihn zu lieben. Dann kam die Hochzeit, Tilda wurde eine Broll und Max warf Blumen. Sie waren glücklich zu dritt. Später glücklich zu zweit.
    Nach dem Tod von Bert Broll wuchsen sie noch näher zusammen, sie brauchten sich, waren da füreinander, trösteten einander. Ein Leben ohne Tilda war nicht vorgesehen, dass ihr etwas passieren könnte, daran hat Max nie gedacht, dass ihr Beruf ihr eines Tages zum Verhängnis werden könnte. Max braucht sie, egal wie alt er inzwischen geworden ist, er will nicht auf sie verzichten, er will dreimal in der Woche in ihrer Küche sitzen und mit ihr plaudern, er will Suppe löffeln an ihrem Tisch, er will nicht, dass die Familie endgültig zerbricht. Er will es nicht. Das kann alles nicht sein.
    Die Polizisten in seiner Wohnung, das Telefon, Paul.
    Was er über Wagner erzählt.
    Max vor dem Computer. Die digitale Bedienungsanleitung, die er geöffnet hat, sagt ihm, dass Tilda nicht sehr viel Zeit hat, dass die Akkulaufzeit nicht lang ist, dass ein Albtraum begonnen hat, und dass es noch schlimmer wird, wenn die Batterien in dem Seniorenhandy erst leer sind.
    Max tippt weiter, sucht im Internet, klopft Begriffe in die Suchmaschine, er will mehr wissen, er gibt „Leopold Wagner Kindermacher“ in das Eingabefeld ein, während Paul ein Telefonat entgegennimmt und mit aufgeregter Stimme in der Küche verschwindet.
    Seiten öffnen sich, eine nach der anderen holt die Vergangenheit auf den Bildschirm, erzählt, was passiert ist, ergänzt die Ausführungen von Paul. „Lebenslänglich für den Kindermacher“, steht da. Mord an seiner Frau, unzählige Frauen geschändet, betrogen, getäuscht. Max überfliegt den Artikel, scrollt nach unten und bleibt mit seinen Augen an einem Bild hängen.
    Ein aalglattes Gesicht vor dem Gerichtssaal, dieses Grinsen, zusammengepresste Lippen, Mittelscheitel, die Haare streng nach hinten gekämmt. Leopold Wagner.
    Max schaut ihn an, die großen Augen, die weit abstehenden, riesigen Ohren. Wie er in die Kamera starrt vor achtzehn Jahren, wie Max das Foto fixiert, den Mann, der ihm Tilda nehmen will.
    Max trinkt. Baroni hat ihm ein Glas hingestellt, hat ihm über die Schulter geschaut, er hat das Foto gesehen.
    Was für ein schleimiges Arschloch, sagt er.
    Ich werde kein Loch für sie graben, sagt Max.
    Er wird sie nicht zu seinem Vater legen, er wird sie finden. Sie wird nicht sterben, er weiß es, er will sich nichts anderes vorstellen, er kann nicht. Nicht jetzt. Nicht so. Das wird er nicht zulassen. Er klickt sich weiter, findet weitere Fotos, Wagners Gesicht, Schlagzeilen. Und plötzlich ist da wieder Tildas Stimme. Tilda in der Hand von Paul, die Stunde ist um, er hat sie angerufen, ihre Stimme in dem bunten Telefon, wie sie aus dem Lautsprecher kommt.
    – Paul, bist du das?
    – Tilda, sag mir, dass es dir gut geht.
    – Es geht mir nicht gut.
    – Ich kann das alles gar nicht glauben.
    – Du musst jetzt alles richtig machen, Paul.
    – Das werde ich, die ganze Mannschaft ist da, wir finden dich, mach dir keine Sorgen.
    – Ihr müsst euch beeilen.
    – Kannst du atmen, hast du genug Luft, hast du Licht?
    – Genug Luft, aber kein Licht, nur das Lämpchen am Telefon. Und es ist eng hier, sehr eng, ich weiß nicht, wie lange ich das aushalte, ich kann meine Beine nicht durchstrecken.
    – Was ist noch in der Kiste?
    – Dreh und Trink.
    – Was?
    – Zwei Flaschen Dreh und Trink. Waldbeer und Kirsche. Er spielt mit mir.
    – Wir holen dich da raus, wo immer du auch bist, wir finden dich.
    – Wie?
    – Peilen. Der Netzbetreiber meldet sich gleich, sie holen die Verantwortlichen gerade aus dem Bett

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