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Fuer immer und ledig - Roman

Fuer immer und ledig - Roman

Titel: Fuer immer und ledig - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henrike Heiland
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Hamburg noch gar nicht auskannte. Und jetzt war ungefähr die Zeit, zu der der immer frühe Jörg eingetrudelt sein müsste.
    Als ich ihn in seiner Garderobe im Kellergeschoss nicht antraf, beschloss ich, eine Cola aufzutreiben und auf ihn zu warten. Die Requisiteurin, die genauso koffeinsüchtig zu sein schien wie ich, hatte vorhin erst ihren Kühlschrank mit Cola aufgefüllt. Die riesigen Räume mit den Requisiten befanden sich ebenfalls unterhalb der Bühne, und normalerweise war hier meistens irgendwer unterwegs. Aber da das Bühnenbild von »Figaros Hochzeit« noch von gestern Abend stehen geblieben war, weil heute wieder eine Vorstellung war, mussten die Techniker gerade nicht abbauen und trieben sich wohl irgendwo in den Werkstätten herum.
    Ich entschied mich für die Abkürzung durch den Orchestergraben, wo ebenfalls noch alles von gestern stand. Ich liebte die Welt, die sich hinter der Bühne auftat.
Wie hier mit Hingabe und Ernsthaftigkeit wochen-und monatelang auf eine Premiere hingearbeitet wurde. Wie achthundert Leute - ein ganzes Dorf - von morgens bis abends nur dafür arbeiteten, dass die Menschen im Zuschauerraum wunderbare Musik hören und dazu herrliche Sänger und Tänzer auf höchstem Niveau sehen durften. Ich fühlte mich allerdings nicht am kreativen Prozess beteiligt und sah mich eher als Zaungast, als Zulieferer, und in dieser Rolle fühlte ich mich absolut wohl.
    Die seltsamen Schnaufgeräusche im Orchestergraben hörte ich erst, als ich schon durch die Tür gegangen war. Eine Sekunde später starrte ich auf den nackten Hintern meines Verlobten, um den sich die bestrumpften Beine einer Frau gewickelt hatten. Den geschmacklosen flachen schwarzen Schuhen nach konnte es sich nur um die blonde zweite Geige handeln, und tatsächlich, nachdem ich etwas ferngesteuert »Ich störe ja nur ungern, aber ich dachte, das wäre mein Part« geplappert hatte, kreischte die zweite Geige auch schon los.
    Jörg, der ihre Panikschreie als Zeichen außerordentlicher Ekstase missdeutete, rammelte noch eine Weile weiter und hätte die Sache wohl auch zumindest für sich selbst befriedigend über die Bühne gebracht, hätte sich nicht in mir ein Schalter umgelegt. Stahlkappendocs sind übrigens sehr praktische Schuhe, nicht nur bei Regen. Man tut sich zum Beispiel nicht weh, wenn einem jemand auf den Fuß trampelt. Oder wenn man gerade seinen Fuß irgendwo reinrammen muss. Ich versetzte
ihm mit meinen dunkelroten Stiefeln einen gewaltigen Tritt in sein blankes Hinterteil.
    Jörg rutschte über die zweite Geige hinweg, flog über die leeren Stühle der Bläser und landete haarscharf vor den einsamen Pauken. Ich fragte mich noch, wie lange schon die zweite Geige der Grund für seine chronische Überpünktlichkeit war, als mich jemand an den Schultern packte und sagte: »Wir gehen jetzt besser mal ganz schnell nach oben.«
    Tim war zufällig gerade unten gewesen, weil die Gräfin irgendeine Requisite in ihr Kleid gestopft hatte und er sie zurückbringen wollte, damit es später bei der Aufführung kein Durcheinander gab. Und da hatte er mich rumschreien hören. Ich konnte mich kein bisschen daran erinnern, überhaupt etwas zu Jörg gesagt zu haben, nachdem ich ihm diesen Tritt versetzt hatte.
    »Ich hab noch nie jemanden so fluchen hören«, sagte Tim, nachdem er mich in den Aufzug verfrachtet hatte.
    »Er hat mitten im Orchestergraben die zweite Geige gevögelt!«, japste ich.
    »Ich hab’s gesehen,Tilly.«
    »Mitten im Orchestergraben!«
    »Freu dich«, entgegnete er trocken. »Dir hat dieses Sex-in-der-Öffentlichkeit-Ding doch eh nie gefallen. Wie war das letztens, als er dir in der einen Bar aufs Klo hinterher ist? Oder im Aufzug … Wo war das noch mal, als er dich im Aufzug befummelt hat?«
    Ich starrte schweigend vor mich hin.
    »Sag nicht, in diesem Aufzug!«, stöhnte Tim.

    Ich sagte immer noch nichts. Wir waren im sechsten Stock angekommen, ich schoss aus der Tür, den Flur hinunter und in den Raum des Gewandmeisters.
    »Im Aufzug!« Tim konnte sich gar nicht beruhigen, als er mich eingeholt hatte.
    »Er hat gesagt, ich bin prüde! Und ich dachte immer, die zweite Geige ist prüde! Hast du mal ihre Schuhe gesehen? Sie hat sogar… prüde Schuhe!«, stampfte ich auf.
    »Also an deiner Stelle wäre ich froh, dass ich ihn…«
    »Er wollte mich doch heiraten!« Jetzt kamen die Tränen.
    »Vielleicht war genau das ein Problem für ihn«, schlug Tim vor und hinderte mich daran, mich mit dem Kleid der Gräfin

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