Für Nikita
es keine typischen morphologischen
Veränderungen. Manchmal findet man in den Schleimhautfalten im Magen Tablettenreste. Das war hier nicht der Fall. Übrigens
müßten in der Dose Gelatinekapseln gewesen sein. Die lösen sich ziemlich langsam auf, vor allem bei der Menge. Aber Fehlanzeige.
Die chemische Analyse ist noch nicht fertig, doch es ist durchaus möglich, daß keine Spuren des Präparates gefunden werden.«
»Warum glauben Sie das?«
»Wissen Sie, ich kenne viele Methoden, einen Betrunkenen zu töten. Man kann ihm zum Beispiel im Sitzen den Kopf heftig auf
die Knie drücken, ihn ein paar Minuten so halten und ihn dann auf ganz bestimmte Weise abrupt aufrichten. Jedenfalls, es gibt
eine Menge Varianten. Und sie alle hinterlassen in der Regel keine äußeren Verletzungen.«
Leontjew nickte »Ganz richtig. Aber so etwas kann nur ein Profi.«
»Ein seriöser Profi«, ergänzte der Doktor. »Ich glaube, man nennt sie Naturfreunde. Die sind teuer. Nur sehr reiche,einflußreiche Leute können sich solchen Luxus leisten, um ihre Probleme zu lösen.«
»Ich lasse Ihnen meine Telefonnummer da, Doktor. Seien Sie so gut und rufen Sie mich an, wenn die Ergebnisse der Histologie
und der Chemiker vorliegen.«
»Ist das privat oder dienstlich?« fragte der Doktor und warf einen Blick auf das Blatt aus dem Notizbuch.
»Privat.«
Kostik und Stassik waren gar nicht angetan von der Idee, erst Sina abzusetzen, bevor sie zum Flughafen fuhren.
»Veronika Sergejewna, vielleicht geben Sie ihr lieber Geld für ein Taxi?« flüsterte Kostik Nika diskret ins Ohr, als sie im
Aufzug hinunterfuhren.
»Ich habe Geld«, erklärte Sina fröhlich, »aber ich fahre gern noch ein Stück in eurem schönen grauen Mercedes.«
Kostik funkelte sie böse an.
Beim Wagen angekommen, öffnete er den Kofferraum.
»Wozu?« fragte Nika.
»Ich will Ihre Tasche reinpacken.«
»Nicht nötig. Sie ist ja nicht groß.«
»Erst in die Kropotkinskaja«, sagte Nika, als sie sich neben Sina auf den Rücksitz setzte.
»Aber jetzt sind überall furchtbare Staus, Veronika Sergejewna«, protestierte Stassik, »da schleichen wir glatt zwei Stunden
durchs Zentrum. Wir verpassen noch das Flugzeug.«
»Halb so schlimm. Wird schon irgendwie gehen«, ermunterte ihn Nika.
Im Zentrum kamen sie wegen der Staus wirklich nur sehr langsam voran. Nika entdeckte im Rückspiegel immer wieder einen dunkellila
Lada, der ihr bekannt vorkam.
Den Fahrer konnte sie nicht richtig sehen, nur, daß er allein im Auto saß und eine zerknitterte dunkle Schirmmütze trug.
Inzwischen hatte der Stau sich aufgelöst, sie hatten die Kropotkinskaja fast erreicht. Der lila Lada war nirgends zu sehen.
»Und wohin jetzt?« fragte Stassik.
»Die zweite Querstraße links«, antwortete Nika, »und dann in den Hof.«
»Veronika Sergejewna, da können wir nicht wenden. Wir müßten einen Riesenumweg machen, und da sind wieder Staus.«
»Schon gut. Den Rest kann ich laufen, ist nur noch ein Katzensprung«, sagte Sina. »Mach’s gut, Frau Gouverneur. Bleib gesund
und glücklich.« Sie küßte Nika auf die Wange, dann sah sie ihr in die Augen und flüsterte ganz leise: »Klingt ganz, als wär’s
die Wahrheit. Ich meine den Irren. Alles ziemlich logisch und glaubwürdig …«
»Verzeihung, könnten Sie sich beeilen? Hier ist Halteverbot«, knurrte Stassik gereizt.
»Laß von dir hören«, antwortete Nika leise, »ruf hin und wieder an.«
»Gut, mach ich.« Sina lächelte. »Dein Mann ist wirklich auf Draht. Sitzt in Sinedolsk und kriegt mit, daß du in Gefahr bist.
Prima, Grischa! Alles logisch, alles glaubhaft, wie die geklauten Zeilen aus den Manuskripten deines Vaters.« Sie warf sich
ihren schäbigen Rucksack über die Schulter und lief auf die Fahrbahn.
Der Mercedes fuhr sofort los. Nika drehte sich um und sah, wie Sina rasch den von Autos verstopften Platz überquerte. Nur
zwanzig Meter weiter war ein Fußgängerüberweg, aber sie rannte wie üblich einfach los, ohne nach links und rechts zu schauen.
Der Mercedes war schon ineine Querstraße eingebogen, als Nika lautes Bremsenquietschen und eine Trillerpfeife hörte.
»Anhalten!« schrie sie. »Sofort anhalten!«
Stassik bremste abrupt. Nicht wegen ihres Geschreis, sondern weil ihn ein Auto der Verkehrskontrolle stoppte.
Ohne recht zu begreifen und halbblind vor Tränen, sprang Nika aus dem Auto und rannte zurück zum Platz. Dort war der Verkehr
lahmgelegt. Mehrere Milizionäre
Weitere Kostenlose Bücher