Fürchtet euch
Chambliss zu. »Unten in Hot Springs hatte ein Mann namens Chestnut seine Freundin mit einer Telefonschnur erdrosselt und sich dann eine Kugel in den Kopf gejagt. Das war ein grausiger Anblick in dem Trailer: alles voller Blut. Doch so schlimm der Anblick auch war, so schlimm es auch war, das Gehirn von dem Mann über die ganze Wand und übers ganze Sofa verteilt zu sehen, es hat mir nicht viel ausgemacht, bis ich das Gesicht der Frau sah. Ihre Augen waren offen, und sie sahen aus, als wäre jemand hingegangen und hätte einfach Blut reingeschüttet. Vom Gerichtsmediziner habe ich erfahren, weshalb sie so aussahen; die Blutgefäße waren geplatzt, weil ihr die Luft abgeschnürt worden war, als er sie erdrosselte. Aber es waren nicht bloß die Augen. Auch unter der Haut an den Wangen und am Hals waren die Blutgefäße geplatzt. Ich kann noch immer ihr Gesicht sehen, bläulich wie ein Rotkehlchenei, mit Augen, die in Blut schwammen.«
»Wieso erzählen Sie mir das?«, fragte er. »Zu der Zeit habe ich noch gar nicht hier gelebt. Ich kannte die Leute nicht.«
»Das stimmt«, sagte ich. »Sie haben zu der Zeit noch nicht hier gelebt, aber Sie leben jetzt hier, und ich erzähle Ihnen das, weil Christopher Petechien hatte, genau wie die arme Frau damals. Aber wir wissen, dass Christopher nicht mit einer Telefonschnur erdrosselt wurde. Er ist an gebrochenen Rippen gestorben – drei, um genau zu sein. Eine seltsame Todesart, finden Sie nicht?«
»Sollte man meinen«, sagte Chambliss.
»Nun ja, die gebrochenen Rippen waren nicht die eigentliche Todesursache. Laut Obduktionsbericht ist er gestorben, weil sich eine von den gebrochenen Rippen in einen Lungenflügel gebohrt hat. Er ist an Asphyxie gestorben. Das bedeutet, er ist erstickt, Pastor.
Also, ich weiß nicht, was ihr da in der Kirche treibt, wodurch so etwas passieren konnte, aber ich garantiere Ihnen: Es kommt am Ende alles raus. Und ich sage Ihnen, je früher es rauskommt, desto besser für alle. Wenn das Gericht und Vorladungen und Gefängnis vonnöten sind, um euch zum Reden zu bringen, dann sei’s drum. Aber da ist eine Familie mit einem toten Jungen, und die möchte Antworten.«
»Drohen Sie mir, Sheriff?«
»Nein, ich drohe Ihnen nicht«, sagte ich. »Aber wenn so eine Sache passiert ist, fangen die Leute an zu reden. Sie setzen sich irgendwas in den Kopf und geben irgendwem die Schuld, ob er es verdient hat oder nicht.«
»Gehören Sie zu diesen Leuten?«
»Nein«, sagte ich. »Ich gehöre nicht zu diesen Leuten. Und ich habe auch keinen Verdächtigen im Visier. Ich bin nur dabei, Fakten zu sammeln und zu versuchen, aus ihnen schlau zu werden. Aber vor mir und meinen Verdächtigungen müssen Sie wahrscheinlich am wenigsten Angst haben.«
»Vor wem dann?«
»Offenbar haben Sie nicht gesehen, was der Daddy von dem Jungen mit den Männern gemacht hat, die Sie am Sonntagabend zu Miss Lyle geschickt haben.«
»Doch, das habe ich, und das war völlig ungerechtfertigt. Ich hätte eigentlich gedacht, ein Sheriff beschützt die Leute ein bisschen mehr und ist ein bisschen mehr daran interessiert, den Frieden zu wahren.«
»Ich bin an Frieden interessiert«, sagte ich, »und deshalb bin ich hier. Eins kann ich Ihnen versprechen, Sie werden keinen Frieden mehr haben, solange die Sache nicht geklärt ist. Aber etwas anderes kann ich Ihnen
nicht
versprechen, nämlich dass der Daddy von dem Jungen nicht herkommen wird, um genau wie ich nach Antworten zu suchen. Der einzige Unterschied zwischen ihm und mir ist der, dass ich verpflichtet bin, mich an die Gesetze zu halten. Ihm dagegen wird das vollkommen egal sein. Bis jetzt hat ihm das Gesetz nämlich nicht viel genützt.«
»Sie glauben, er kommt her, um mich umzubringen oder so?«
»Nein«, sagte ich. »Das will ich damit nicht gesagt haben, Pastor. Wir hatten gerade erst eine Beerdigung. Ich will hoffen, dass es bis zur nächsten noch ein Weilchen dauert.«
Ich hörte einen Donnerknall weit hinter mir über den Bergen. Eine Windböe brachte die Zweige der Bäume hinter der Scheune ins Schwanken.
»Ich halte Sie für einen geistlichen Mann, Mr Chambliss. Und ich weiß, Sie machen gern ein Geheimnis daraus, was da so alles in Ihrer Kirche vor sich geht, und dagegen habe ich auch nichts einzuwenden, solange keiner verletzt wird und keiner stirbt. Aber jetzt ist da eine Familie, deren Geist heilen muss, und ich nehme doch an, dass das im Sinne eines gottesfürchtigen Mannes ist.«
»Gott kümmert sich nicht
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