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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Stadt ist ein Universum für sich, ein subversives Gerücht, der Stoff, aus dem Sagen entstehen.
    Laney ist schon früher hier gewesen, wenn auch nicht genau in diesem Konstrukt, diesem Frisiersalon, und es gefällt ihm hier nicht. Etwas in dem elementaren Gründungskode der Ummauerten Stadt verursacht ihm ein metaphysisches Schwindelgefühl, und die visuelle Darstellung ist auf langweilige Weise aggressiv, als wäre man in einem Kunsthochschulvideo mit unendlich hohen Produktionswerten. Nichts ist jemals gradlinig in der Ummauerten Stadt; nichts wird jemals so dargestellt, wie es geschrieben ist, sondern durch ein halbes Dutzend Arten sorgfältig kultivierter Bitfäule gefiltert, als ob die Einwohner fest entschlossen wären, dem Ort ihre krasse Grundhaltung bis in die allerfeinste fraktale Textur hinein aufzuprägen. Während eine clevere Website vielleicht mit dezenten Andeutungen von Schmutz und Abnutzung arbeiten würde, schwelgt die Ummauerte Stadt in unverhüllter, offener Verwesung, in Texture-Maps, die sich fortwährend auflösen und andere, gleichermaßen mottenzerfressene Texturen freilegen.
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    Dieser Frisiersalon zum Beispiel ist aus Texturfliesen konstruiert, die sich wie Schindeln überlappen, so dass die Ränder nicht richtig aneinander passen und jede Illusion einer Oberfläche oder eines Ortes bewusst zerstört wird. Und alles ist in einer Palette regennasser Chinatown-Neonfarben gehalten: Pink, Blau, Gelb, Blassgrün und dem bestimmenden verblassten Rot.
    Libia und Paco verschwinden sofort, und Laney hat Zeit, sich zu überlegen, wie er sich in dieser Umgebung präsentieren würde, falls er Lust dazu hätte: vielleicht als großer Pappkarton?
    Klaus und der Hahn setzen diesen Gedankengängen jedoch ein Ende, indem sie abrupt in zwei der vier Frisiersessel des Ladens erscheinen. Sie sehen genauso aus, wie er sie in Erinnerung hat, nur dass Klaus jetzt eine schwarze Lederversion seines Fedora mit rundum hoch gebogener Krempe trägt und der Hahn irgendwie noch stärker einem von Francis Bacons schreienden Päpsten ähnelt.
    »Ganz neues Spiel hier«, beginnt Laney.
    »Wie das?« Klaus saugt an den Zähnen.
    »Harwood hat 5-SB genommen. Und das wisst ihr auch, weil eure Chilango-Kids es mir grade erzählt haben. Wie lange wisst ihr’s schon?«
    »Wir geben nicht mehr Informationen preis als unbedingt nö-
    tig«, hebt der Hahn ganz auf die päpstliche Schnöseltour an, aber Klaus schneidet ihm das Wort ab: »Ungefähr zehn Minuten länger als du. Wir möchten gern wissen, was du davon hältst.«
    »Das ändert alles«, sagt Laney. »Sein Erfolg in all diesen Jahren: sein Public-Relations-Imperium, die Werbung, die Gerüchte, dass er eine zentrale Rolle bei der Wahl von Präsidentin Millbank gespielt hat, dass er hinter der Teilung von Italien steckt...«
    »Ich dachte, das wäre seine Freundin gewesen«, sagt der Hahn mürrisch, »diese padanische Prinzessin...«
    »Du meinst, er sucht sich nur Sieger aus?« fragt Klaus. »Willst du damit sagen, dass er im nodalen Modus ist und sich einfach an entstehende Veränderungen dranhängt? Wenn das alles ist, mein 255
    Freund, warum bist du dann nicht einer der reichsten Männer der Welt?«
    »So funktioniert das nicht«, protestiert Laney. »Das 5-SB bewirkt, dass man Knotenpunkte wahrnimmt, Diskontinuitäten in der Informationstextur. Die deuten auf bevorstehende Veränderungen hin, sagen aber nichts darüber aus, was für Veränderungen das sein werden.«
    »Stimmt«, pflichtet ihm Klaus bei und spitzt die Lippen.
    »Ich möchte wissen, was Harwood vorhat«, sagt Laney. »Ich muss es wissen, und zwar sofort. Er sitzt am Scheitelpunkt eines beispiellosen Veränderungspotentials und spielt bei dem, was hier vorgeht, offenbar eine zentrale Rolle. Rei Toei steckt auch mit drin, ebenso wie dieser freischaffende Menschenauslöscher Harwoods und ein arbeitsloser Privatcop ... Diese Leute sind im Begriff, die menschliche Geschichte auf ganz neue Weise zu ver-
    ändern. Eine solche Konfiguration hat es seit 1911 nicht mehr gegeben –«
    »Was ist 1911 passiert?«, fragt der Hahn.
    Laney seufzt. »Ich bin mir noch immer nicht sicher. Es ist kompliziert, und ich hatte nicht die Zeit, mir die Sache wirklich genau anzusehen. Madame Curies Mann ist 1906 in Paris von einem Pferdewagen überfahren worden. Damit hat es anscheinend angefangen. Aber wenn Harwood hier der seltsame Attraktor ist, jene Merkwürdigkeit, die die Dinge brauchen, um sich dran an-zulagern, und er

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