FutureMatic
Armen durch und kletterte rauf, ohne den zu beachten, der ihr mit der flachen Hand lachend einen Klaps auf den Hintern gab.
Hinauf durch das quadratische Loch, die Nase auf Höhe eines staubigen, biergetränkten braunen Teppichs. »Tessa. He.«
»Chevette?« Tessa drehte sich nicht um; sie war völlig auf das Bild in ihrer Brille konzentriert. »Wo warst du?«
»Ich hab Carson gesehen«, sagte Chevette und kletterte ganz hinauf. »Bin abgehauen.«
»Spitzenmäßiges Material hier«, sagte Tessa. »Die Gesichter dieser Leute. Wie bei Robert Frank. Ich mach das schwarz-weiß und grobkörniger –«
»Tessa«, unterbrach Chevette, »ich finde, wir sollten von hier verschwinden.«
»Scheiße, verdammt, wer bist du?«, sagte der Kahlkopf und drehte sich um. Er trug ein ärmelloses, hautenges Shirt; seine Oberarme waren nicht dicker als Chevettes Handgelenke, und seine nackten Schultern sahen so zerbrechlich aus wie die Knochen eines Vogels.
»Das ist Saint Vitus«, sagte Tessa wie in einem zerstreuten Versuch, Feindseligkeiten im Keim zu ersticken; sie war mit den Gedanken ganz woanders. »Er macht das Licht hier, aber in zwei anderen Clubs auf der Brücke steht er am Mischpult, im Kognitive Dissidenten und in noch einem ...« Tessas Hand in dem schwarzen Kontrollhandschuh tanzte mit sich selbst.
251
Chevette kannte das Kog Diss von früher. »Das ist ‘ne Dancer-Bar, Tessa«, sagte sie.
»Wir gehen hinterher rüber«, erklärte Tessa. »Er sagt, da geht’s dann grade erst richtig los, und es soll auch viel interessanter sein als hier.«
»Versteht sich doch wohl von selbst«, meinte Saint Vitus mit unendlicher Müdigkeit.
»Blue Ahmed hat da eine Single aufgenommen«, sagte Tessa.
»>My War Is My War<.«
»Ätzende Nummer«, sagte Chevette.
»Du meinst die Coverversion von Chrome Koran.« Saint Vitus’
Stimme triefte vor Verachtung. »Ahmeds Version hast du nie ge-hört.«
»Woher, zum Teufel, willst du das wissen?« fragte Chevette.
»Weil sie nie raus gekommen ist«, erklärte Saint Vitus selbstgefällig.
»Tja, vielleicht ist sie ja abgehauen«, sagte Chevette. Am liebsten hätte sie diesem Diz-Affen eins vor die Birne geknallt, und sie dachte, dass es wohl auch gar nicht so schwer wäre, aber man wusste nie, was passieren würde, wenn jemand, der voll auf Dancer war, ausklinkte. Es gab haufenweise Geschichten über Zwölf-jährige, die dermaßen zugeknallt waren, dass sie einen Streifenwagen an der Stoßstange packten und das ganze Ding umkipp-ten; dazu gehörte dann für gewöhnlich aber auch, dass ihnen die Muskeln durch die Haut platzten – Chevette hoffte aufrichtig, dass das unmöglich war. Musste eine dieser »urbanen Legenden«
sein, wie Carson das nannte.
Creedmores Song endete mit einem stählern klirrenden Gitar-renakkord, der Chevettes Aufmerksamkeit auf die Bühne lenkte.
Creedmore wirkte jetzt total high; sein Blick ging triumphierend in die Ferne, als würde er über ein Meer von Gesichtern in einem riesigen Stadion hinwegstarren.
Der große, schwere Gitarrist nahm seine rote Gitarre ab und gab sie einem Jungen mit Koteletten und schwarzer Lederweste, 252
der ihm dafür eine schwarze Gitarre mit schmalerem Korpus reichte.
»Das hier heißt >Pine Box<«, sagte Creedmore, als der korpulente Gitarrist zu spielen begann. Chevette verstand nicht viel vom Text als Creedmore loslegte, nur dass der Song alt und trüb-sinnig klang und davon handelte, dass jemand in einer Kiefern-holzkiste landete, also vermutlich in einem Sarg, so einem Ding, in dem man Leute begrub, aber sie dachte, dass es genauso auf diese Tonkabine passen konnte, in der sie mit Tessa und diesem Arschloch festsaß. Sie schaute sich um und sah einen alten ver-chromten Hocker, dessen aufgerissenes Polster mit Klebeband geflickt war, also pflanzte sie sich drauf und beschloss, einfach die Klappe zu halten, bis Tessa so viel von Creedmores Gig aufgezeichnet hatte, wie sie wollte. Dann würde sie dafür sorgen, dass sie hier raus kamen.
253
47
SAI SHING ROAD
ibia und Paco haben Laney zu einem Frisiersalon in der Sai LShin g Road gebracht. Er hat natürlich keine Ahnung, auf welchem Weg er dorthin gekommen ist; Sai Shing ist in der Ummauerten Stadt, und er ist Besucher, nicht Bewohner. Die Lage der Ummauerten Stadt und die konzeptuellen Mechanismen, mittels deren sich ihre Bürger freiwillig von der gesamten menschlichen Datenwelt abgespalten haben, sind ihr zentrales und best gehütetes Geheimnis. Die Ummauerte
Weitere Kostenlose Bücher