Gabriel Labert
zeigte ihm die Register der Bürgermeisterei, und Gabriel wurde ihm am Abend vorgestellt.
Der Kandidat hatte ein Rundschreiben abgefaßt, doch es gab nur in Le Havre eine Druckerei; man mußte das Manifest in die Stadt schicken, und das verspätete die Sache um drei oder vier Tage.
Die Schreiben mußten jedoch so schnell wie möglich verteilt werden, da der Kandidat eine größere Opposition traf, als er zuvor erwartet hatte.
Gabriel machte sich anheischig, in der Nacht und am nächstfolgenden Tag fünfzig Exemplare zu schreiben. Der Abgeordnete versprach ihm dreihundert Franc, wenn er ihm diese fünfzig Exemplare in vierundzwanzig Stunden liefern würde.
Gabriel sagte alles zu, lieferte siebzig statt fünfzig. Im höchsten Maß erfreut, gab ihm der Kandidat fünfhundert Franc statt dreihundert und leistete ihm das Versprechen, ihn einem reichen Bankier in Paris zu empfehlen, der ihn wahrscheinlich auf diese Empfehlung hin zu seinem Sekretär nehmen würde.
Gabriel kam an diesem Abend freudetrunken zu mir.
›Marie‹, sagte er zu mir, ›Marie, wir sind gerettet; ehe ein Monat vergeht, reise ich nach Paris; ich erhalte einen guten Platz, schreibe dir sodann, und du kommst zu mir.‹
Ich dachte nicht einmal daran, ihn zu fragen, ob ich als seine Frau zu ihm kommen sollte, so fern war mir der Gedanke, Gabriel könnte mich täuschen.
Ich bat ihn nur um die Erklärung dieser Zusage, die noch ein Rätsel für mich war. Er erzählte mir alles, sprach von der Protektion des Abgeordneten und zeigte mit ein gedrucktes Papier.
›Was für ein Papier ist das?‹ fragte ich.
›Eine Banknote von fünfhundert Franc‹, antwortete er.
›Wie‹, rief ich, ›dieser Papierfetzen ist fünfhundert Franc wert?‹
›Ja‹, sagte Gabriel, ›und wenn wir zwanzig davon hätten, wären wir reich.‹ ›Das wären zehntausend Franc‹, versetzte ich. Mittlerweile verschlang Gabriel das Papier mit den Augen. ›Woran denkst du, Gabriel?‹ fragte ich. ›Ich denke, daß solch eine Banknote nicht schwerer nachzuahmen ist als ein Kupferstich.‹
›Ja … aber das muß ein Verbrechen sein?‹
›Schau‹, sagte Gabriel.
Und er zeigte mir die zwei Zeilen, die am unteren Rand des Geldscheines zu lesen waren: ›Das Gesetz bestraft den Fälscher mit dem Tode.‹ ›Ah, ohne das‹, rief er, ›hätten wir bald zehn und zwanzig und fünfzig.‹
›Gabriel‹, meinte ich bebend, ›was sagst du da?‹
›Nichts, Marie, ich scherze.‹
Und er steckte die Banknote wieder in die Tasche.
Acht Tage später fanden die Wahlen statt.
Trotz der Rundschreiben wurde der Kandidat nicht gewählt. Nach dessen Niederlage begab sich Gabriel zu ihm, um ihn an sein Versprechen zu erinnern; doch der Kandidat war schon abgereist.
Gabriel kehrte verzweifelt zurück; aller Wahrscheinlichkeit nach würde der gescheiterte Kandidat das Versprechen vergessen, das er dem armen Schreiber der Bürgermeisterei geleistet hatte.
Plötzlich schien ein Gedanke in Gabriel zu keimen, lächelnd verweilte er dabei, und nach einem Augenblick sagte er zu mir: ›Zum Glück habe ich das Original von dem einfältigen Rundschreiben behalten.‹
Und er zeigte mir dieses Original, von der Hand des Kandidaten geschrieben und unterzeichnet.
›Was wirst du damit machen?‹ fragte ich.
›O mein Gott! Gar nichts; nur dürfte mich dieses Papier bei Gelegenheit in seine Erinnerung zurückrufen.‹
Dann sprach er nicht mehr von diesem Gegenstand, er schien das Rundschreiben vergessen zu haben.
Acht Tage danach kam der Bürgermeister zu Thomas Lambert mit einem Brief in der Hand. Dieser Brief war von dem gescheiterten Kandidaten.
Gegen alle Erwartung hatte er sein Versprechen gehalten und schrieb, er habe bei einem der ersten Bankiers von Paris eine Kommisstelle für Gabriel gefunden, nur sollte er erst einmal drei Monate lang als Überzähliger dienen.
Dieses Opfer an Zeit und Geld war unerläßlich; später sollte Gabriel dann sogar achthundert Franc Gehalt bekommen. Gabriel eilte, mir diese Neuigkeit mitzuteilen; doch während sie ihn mit Freude erfüllte, versetzte sie mich in tiefe Betrübnis.
Wohl hatte ich mich zuweilen, durch die Träume Gabriels angeregt, wie er nach Paris gesehnt; aber ich wäre doch nur nach Paris gegangen, um denjenigen, den ich liebte, nicht zu verlassen; mein ganzer Ehrgeiz beschränkte sich darauf, Gabriels Frau zu werden, und das schien mir viel sicherer in dem demütigen, eintönigen Dasein des Dorfes als im raschen, glühenden
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