Gabriel Lambert
Sprung stürzte er in den Wagen.
V… bedeutete mir durch ein Zeichen, ich möge einsteigen und den Hintersitz einnehmen.
Es war nicht die geeignete Zeit, Zeremonien zu machen. Ich setzte mich auf den Platz, der mir angewiesen war.
V… sagte auf Rotwelsch ein paar Worte zu seinen Polizisten, die ich nicht verstand, stieg ebenfalls ein und setzte sich auf den Vordersitz.
Der Kutscher schloß den Schlag und fragte: »Zur Polizeipräfektur, nicht wahr, mein Herr?«
»Ja«, antwortete V…, »doch woher wissen Sie, wohin wir wollen, mein Freund?«
»Nun, ich habe Sie erkannt«, sagte der Kutscher, »es ist schon das drittemal, daß ich Sie fahre, und stets in Gesellschaft.«
»Da baue man noch auf ein Inkognito«, versetzte V…
Der Wagen rollte den Boulevard entlang, dann die Rue de Richelieu, erreichte den Pont-Neuf, folgte dem Quai des Orfèvres, wandte sich nach rechts, fuhr unter ein Gewölbe, drang in eine Art von Gäßchen und hielt vor einer Tür.
Jetzt erst schien der Gefangene aus seiner Erstarrung zu erwachen, auf dem ganzen Weg hatte er kein Wort gesprochen. »Wie«, rief er,
»schon da!«
»Ja, Herr Vicomte«, sagte V…, »das ist Ihre provisorische Wohnung, sie ist weniger elegant als die in der Rue Taitbout, doch in Ihrem Gewerbe muß man mit Veränderungen rechnen und Philosoph sein.«
Nun öff nete er den Schlag und sprang aus dem Wagen.
»Haben Sie mir noch einen Auftrag zu geben, ehe ich Sie verlasse?«
fragte ich den Gefangenen.
»Ja, ja«, erwiderte er, »sie soll nicht erfahren, was vorgefallen ist.«
»Wer, sie?«
»Marie.«
»Die arme Frau! Ich hatte sie vergessen. Seien Sie unbesorgt, ich werde tun, was ich kann, um ihr die Wahrheit zu verbergen.«
»Ich danke, ich danke Ihnen, Doktor. Ach, ich wußte wohl, daß Sie mein einziger Freund sind.«
»Ich warte«, sagte V…
Gabriel seufzte, schüttelte traurig den Kopf und schickte sich an auszusteigen.
Scheinbar um ihm zu helfen, nahm ihn V… beim Arm; beide näherten sich der unseligen Pforte, die sich von selbst öff nete, als hätte sie ihren großen Lieferanten erkannt.
Der Gefangene warf mir einen letzten trübseligen Blick zu, und die Pforte schloß sich hinter ihnen mit einem dumpfen Geräusch.
An demselben Tag verließ Marie Paris und kehrte nach Trouville zurück. Ich sagte ihr nichts, wie ich es dem Vicomte versprochen hatte, doch sie vermutete alles.
. Kapitel
Bicètre
Sechs Monate waren seit den von mir erzählten Ereignissen vergangen, und mehr als einmal hatte ich mich, sosehr ich mich auch bemühte, sie zu vergessen, in Gedanken mit ihnen beschäftigt, als ich gegen sechs Uhr abends – ich wollte mich eben zu Tisch setzen – folgenden Brief erhielt:
»Mein Herr!
In dem Augenblick, wo er vor dem Th
ron Gottes erscheinen soll,
wohin ihn ein Todesurteil führt, bittet Sie der unglückliche Gabriel Lambert, der eine tiefe Erinnerung für Ihre Güte bewahrt hat, um einen letzten Dienst; er hoff t, Sie werden die Gefälligkeit haben, sich vom Präfekten die Erlaubnis, ihn besuchen zu dürfen, geben zu lassen, um noch einmal in seinen Kerker hinabzusteigen. Es ist keine Zeit zu verlieren: Die Hinrichtung fi ndet morgen früh um sechs Uhr statt.
Ich habe die Ehre zu sein
Abbé …
Gefängnispriester.«
Ich hatte einige Gäste zu Tisch.
Ich zeigte ihnen den Brief, erklärte ihnen mit ein paar Worten, worum es ging, und bat einen meiner Gäste, mich als Hausherrn und Gastgeber zu vertreten. Dann stieg ich sogleich in meinen Wagen und fuhr weg.
Wie ich vorausgesehen hatte, machte es mir keine Mühe, in das Gefängnis eingelassen zu werden. Gegen sieben Uhr war ich also in Bicètre.
Es war das erstemal, daß ich über die Schwelle dieses Gefängnisses schritt, das, seitdem die Hinrichtungen nicht mehr auf dem Grève-platz stattfanden, der letzte Aufenthalt der zum Tode Verurteilten geworden war.
Ich hörte auch nicht ohne tiefe Beklemmung, nicht ohne eine gewisse persönliche Angst, von der auch der ehrlichste Mann nicht frei ist, wie sich die mächtigen Türen hinter mir schlossen.
Es war, als wäre hier jedes Wort eine Klage, jedes Geräusch ein Seufzer, man atmete eine andere Luft, und als ich dem Gefängnis-direktor die Erlaubnis, seinen Hausgenossen zu besuchen, vorwies, war ich sicher genauso bleich und zitterte ebenso wie die Gäste, die er gewöhnlich empfängt.
Kaum hatte er meinen Namen gelesen, unterbrach er sich, um mich zum zweitenmal zu begrüßen.
Dann rief er einen Schließer
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