Gaelen Foley - Knight 02
gelitten hatte. Was für ein schamloses Stück die verstorbene Duchess of Hawkscliffe doch gewesen war, ständig auf Eroberungen aus. Und sein eigener Vater war beileibe nicht der Gatte der Duchess gewesen, sondern ihr langjähriger Liebhaber, der mächtige und geheimnisvolle Marquis of Carnarthen. Der Marquis war vor kurzem gestor- ben und hatte Lucien den Großteil seines Privatvermögens und sein berüchtigtes Schloss Revell Court südwestlich von Bath hinterlassen.
Plötzlich erkannte Lucien, warum er Damien unbedingt daran hindern wollte, Caro zu heiraten. Er konnte wohl kaum zulassen, dass sein Bruder bei einer Ehefrau landete, die genau wie die verlotterte Duchess war. Abrupt wandte er sich ab und ging den Flur hinunter. „Schon gut, kehr nur heim zu deinem Gör“, murmelte er. „Ich finde schon eine an- dere, mit der ich mich amüsieren kann.“
„Aber Lucien, ich will doch mitkommen!“ protestierte sie und eilte ihm mit wehenden Gewändern nach.
Er blickte starr geradeaus. „Dein Kind braucht dich, das weißt du ganz genau.“
„Nein, das tut es nicht.“ Ihr Tonfall war so rau, dass Lu- cien sie forschend ansah. „Er kennt mich nicht einmal. Sein Herz gehört allein Alice.“
„Glaubst du wirklich?“
„Ja. Ich bin als Mutter nicht besonders begabt.“
Entnervt schüttelte er den Kopf. Was kümmerte es ihn, wenn sie sich etwas vormachen wollte? „Na komm schon. Damien wartet.“ Er führte sie hinunter in den Ballsaal, wo ihr Schicksal besiegelt werden sollte.
Hell beleuchtet von den Kronleuchtern, wirkte der Ball- saal auf naive Zeitgenossen wie ein zivilisierter Ort, doch in Luciens Augen war der Boden nicht umsonst schwarzweiß gefliest wie ein riesiges Schachbrett. Hinter der dekadenten Fassade, die er sich geschaffen hatte, hielt er mit geschärften Sinnen Ausschau nach irgendetwas oder irgendjemandem, bei dem sich seine Instinkte regten. Da nichts je offensicht- lich war, kultivierte er eine leichte Paranoia und traute nie- mandem. Seiner Erfahrung nach waren es immer ganz un- auffällige, gewöhnliche Leute, welche die verräterischsten Pläne hegten. Die bizarren Typen waren normalerweise
harmlos; tatsächlich hatte er sogar eine Vorliebe für all die- jenigen, die sich den Zwängen der Konformität nicht erge- ben wollten. Das spiegelte sich auch in seinem Bekannten- kreis wider – ihn grüßten Außenseiter, diverse Lüstlinge, Re- bellen, zerraufte Naturwissenschaftler und Exzentriker je- der Couleur.
Er nahm ihren meist verstohlenen Tribut mit schmalem Lächeln zur Kenntnis – anscheinend brannten seine Gefolgs- leute schon darauf, zu den Festivitäten auf Revell Court zu- rückzukehren. Er zwinkerte einem bemalten Dämchen zu, das hinter dem Fächer hervorgrüßte.
„Euer Unheiligkeit“, flüsterte sie mit einem einladenden Blick.
Er neigte den Kopf. „Bon soir, madame.“ Aus den Augen- winkeln sah er, wie Caro ihn fasziniert betrachtete. „Was denn, meine Liebe?“
Sie schaute ihn verschmitzt an. „Ich habe mich nur ge- fragt, wie es Miss Tugendsam wohl mit dir ergehen würde. Es wäre amüsant zu beobachten, wie du sie verdirbst.“
„Bring sie irgendwann einmal mit. Ich werde mir alle Mü- he geben.“
Sie lächelte süffisant. „Wahrscheinlich würde sie umkip- pen, wenn du sie nur ansiehst, die kleine Unschuld.“
„Ist sie jung?“
„Nicht sehr. Einundzwanzig.“ Caro hielt inne. „Eigentlich glaube ich, dass nicht einmal du die Zitadelle erstürmen könntest, wenn du verstehst, was ich meine.“
Er blickte sie schief an. „Ich bitte dich.“
Caro zuckte mit den Schultern, ein spöttisches Lächeln um die Lippen. „Ich weiß nicht, Lucien. Leicht wäre es nicht; Alice ist ebenso gut, wie du schlecht bist.“
Er zog die Augenbraue hoch und ließ sich das durch den Kopf gehen. „Ist sie wirklich so ein Ausbund an Tugend?“
„Mir jedenfalls dreht sich der Magen um“, stieß Caro leise hervor. „Sie verbreitet keinen Klatsch. Sie lügt nicht. Sie lacht nicht, wenn ich eine witzige Bemerkung über irgendei- ne aufgetakelte Spinatwachtel mache. Sie ist nicht eitel. Sie lässt nicht einmal den sonntäglichen Kirchgang aus!“
„Da bist du ja mit einem richtigen Ungeheuer geschlagen – mein Beileid. Wie sagtest du, heißt sie?“
„Alice.“
„Montague?“
„Ja. Sie ist die kleine Schwester meines armen Glenwood.“
„Alice Montague“, wiederholte er nachdenklich. Die Toch- ter eines Barons, dachte er. Tugendhaft. Noch zu haben. Kin-
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