Gai-Jin
sein Wissen ab. »In frühestens einer Woche, vielleicht erst in einem Monat. Das weiß nur Gott, Jamie, ich nicht.«
»Und wenn Sie auf dem Postdampfer mitreisen, würde das helfen?«
»Um Himmels willen, nein! Haben Sie mich nicht verstanden? Neun Tage auf einem Schiff würden seinen Tod bedeuten.«
McFays Miene verdüsterte sich. »Wie stehen Malcolms Chancen? Ich muß es unbedingt erfahren.«
»Noch immer gut. Seine Temperatur ist mehr oder weniger normal, und es gibt keine Anzeichen für Wundbrand.« Wieder rieb sich Babcott die Augen und gähnte. »Tut mir leid, ich wollte Sie nicht so anfahren. Bin seit Mitternacht auf den Beinen, um die Folgen einer Schlägerei in Drunk Town zu verarzten, Seemann gegen Soldat, und gegen Morgen gab’s einen Notfall in der Yoshiwara, mußte eine junge Frau zusammenflicken, die versucht hat, sich in die nächste Welt zu befördern.« Er seufzte. »Es würde helfen, wenn er so ruhig wie möglich gehalten wird. Ich würde sagen, daß dieser Anfall vermutlich von schlechten Nachrichten ausgelöst wurde.«
Die Nachricht von Culum Struans Tod und Malcolms neuem Status als Tai-Pan – von unmittelbarer Bedeutung für alle ihre Konkurrenten – hatte sich wie ein Lauffeuer in der Niederlassung verbreitet. Bei Brock’s hatte Norbert Greyforth eine Sitzung unterbrochen, um die erste Flasche Champagner aus der Kiste zu öffnen, die er seit vielen Wochen für diesen Tag gekühlt hielt – in ihrem neuen und höchst profitablen Eishaus gleich neben dem Warenlager. »Die beste Nachricht für mich seit Jahren«, hatte er Dimitri lachend erklärt, »und für die Party, die ich heute abend gebe, hab ich noch weitere zwanzig Kisten. Ein Trinkspruch, Dimitri!« Er hob das Kristallglas, das beste venezianische, das man mit Geld kaufen konnte. »Auf den Tai-Pan des Noble House: hinaus mit dem Alten, hinaus mit dem Neuen, weiß Gott, und mögen sie noch in diesem Jahr bankrott gehen!«
»Ich trinke mit Ihnen auf den Erfolg des neuen Tai-Pan, Norbert, auf alles andere nicht«, gab Dimitri zurück.
»Seien Sie realistisch. Die sind die Alten, wir sind die Neuen – früher ja, da hatten sie noch Courage, als Dirk Struan noch lebte, aber heutzutage sind sie schwach, McFay ist schwach – mein Gott, mit ein bißchen begeisterter Hilfe von ihm und ein bißchen Überredungskunst am Abend des Mordes an Canterbury hätten wir die ganze Niederlassung auf die Beine bringen können, die Flotte, die Army, wir hätten dieses Schwein, diesen Satsuma-König, gefangen und aufgehängt und wären bis ans Ende unserer Tage glücklich gewesen.«
»Dem stimme ich zu. Aber John Canterbury wird gerächt werden, so oder so. Der arme Kerl«, sagte Dimitri. »Sie wissen, daß er mir seine Firma hinterlassen hat?« Die Firma Canterbury war eines der kleineren Handelshäuser, spezialisiert auf den Export von Seidenstoffen und vor allem von Kokons und Seidenraupeneiern, ein höchst lukrativer Handel für Frankreich, dessen Seidenindustrie, einstmals die beste der Welt, durch eine Seuche dezimiert worden war. »John hat immer gesagt, daß er das tun würde, aber ich habe ihm nicht geglaubt. Sein Testamentsvollstrecker bin ich auch – Wee Willie hat mir vor seiner Abreise die Urkunde überreicht.«
»Die Samurai sind alle Schweine, sie hatten keinen Grund, ihn so abzuschlachten. Was ist mit seiner musume? Der alte John war völlig vernarrt in sie. Sie ist schwanger, nicht wahr?«
»Nein, das war ein Gerücht. In seinem Testament bittet er mich, mich um sie zu kümmern, ihr Geld zu geben, damit sie sich ein eigenes Haus kaufen kann. Ich hab sie aufgesucht, aber Raiko, ihre Mama-san, diese alte Ratte, hat mir gesagt, die Kleine wäre in ihr Dorf zurückgekehrt, sie werde ihr das Geld nachschicken. Ich habe ihr ausgehändigt, was John bestimmt hat, und damit basta.«
Nachdenklich leerte Greyforth sein Champagnerglas. »Sie sollten auch an sich selber denken«, sagte er mit gedämpfter Stimme, denn er hielt die Zeit für reif. »Sie müssen an die Zukunft denken, nicht an ein paar Ballen Stoff und Raupeneier. Behalten Sie das Große Spiel im Auge, das amerikanische Spiel. Wir, mit unseren Kontakten, können jede Menge britische, französische oder preußische Waffen kaufen – gerade haben wir einen Exklusivvertrag als Vertretung von Krupp im Fernen Osten unterzeichnet –, zu besseren Preisen, als Struan sie Ihnen machen kann, und diese nach Hawaii liefern zum Umladen nach… wohin Sie wollen, und keine
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