Galaxis Science Fiction Bd. 03
DAS OBSERVATORIUM
Lothar Heinecke
Sieht ein Marsmensch wirklich grün aus?
Oder ist er blau, oder rot, oder gar durchsichtig? Hat er die Gestalt eines Menschen, oder ähnelt er mehr einem Polypen, oder einem Insekt, oder möglicherweise einer Feuerkugel? Hat er zwei, drei, oder vier Paar Gliedmaßen, oder sogar noch mehr? Oder ist er vielleicht nur reiner Geist – ein ungeheurer Intellekt, so alt und hochentwickelt, daß er seinen materiellen Körper längst hat abstreifen können, so wie eine Schlange ihre zu eng gewordene Haut?
Wenn Sie Science Fiction lesen, werden Sie auf einen Überreichtum an solchen phantastischen Kreaturen und Konzeptionen treffen, ob es sich nun – wie in diesem Fall – um das Aussehen fremder Lebewesen handelt, oder um genauso unglaubliche Dinge wie eine Zeitmaschine, einen Flug durch den Hyperraum, oder das Galaktische Imperium des Jahres 15 000 neuer Zeitrechnung.
Und dann vergleichen Sie, was Sie gelesen haben, und merken, daß diese Geschichten nicht nur unglaublich klingen, sondern daß sie sich oft auch auf das Unsinnigste widersprechen, daß in der einen Geschichte der Mars – um bei diesem Planeten und seinen Bewohnern zu bleiben – unbewohnt ist, während es in der zweiten Geschichte Marsianer gibt, die uns Menschen verblüffend ähneln, nur daß sie eine grüne Hautfarbe und ein drittes Auge mitten auf der Stirn haben. Und in einer dritten sind es dann vielleicht Polypenwesen, und in einer vierten Kreaturen, die aussehen wie eine Kreuzung zwischen einer überdimensionierten Ameise und einer Schildkröte.
Und Sie fragen sich vielleicht: Was soll dieser Unsinn? und: Warum werden solche Geschichten geschrieben? Ich könnte mir die Antwort darauf leicht machen und die Gegenfrage stellen: Warum werden überhaupt Geschichten geschrieben? Um uns zu unterhalten, natürlich, um unsere Phantasie anzuregen und uns für ein paar Stunden dem Alltag zu entrücken und – manchmal auch, um uns zu belehren.
Ich glaube, diese Antwort allein müßte schon genügen, um Science Fiction seine berechtigte Stellung innerhalb der Literatur zuzuerkennen, denn wer einmal Science Fiction gelesen hat, weiß, daß sie die Voraussetzungen für eine gute Geschichte einfach ideal erfüllt: sie ist spannend, sie ist unterhaltend, sie ist belehrend, und sie hat etwas auszusagen, und das trotz oder gerade wegen ihres oft unwirklichen Inhalts. Jemand hat Science Fiction einmal als das amerikanische Märchen bezeichnet. Wenn das zutrifft – sind Märchen unsinnig, nur weil es in ihnen märchenhaft zugeht?
Aber es gibt noch eine andere Antwort auf die Vorwürfe, die man gegen Science Fiction ihrer Unglaublichkeit wegen erheben könnte. Science Fiction spekuliert mit dem Unbekannten, mit dem wahrscheinlichen und möglichen Aussehen dieses Unbekannten – gleichgültig, ob es das Unbekannte ist, was uns die Zukunft bringt oder das, was auf fremden Planeten auf uns wartet. Spekulieren – das heißt nachsinnen – über eine Idee, eine Tatsache, eine Erscheinung, die sich möglicherweise schon heute irgendwo zeigt, vielleicht nur versteckt und in kaum erkennbaren Ansätzen. Der Science-Fiction-Schriftsteller nimmt nun diese Idee und spielt mit ihr wie der Jongleur mit seinen Bällen. Und wie der Jongleur seine Bälle zu immer neuen Mustern verwebt, so fördert der Science-Fiction-Schriftsteller immer neue Seiten dieser Idee zutage und macht uns dadurch oft Dinge sichtbar, die uns sonst gar nicht aufgefallen wären. Denn leider tragen wir alle mehr oder minder große Scheuklappen mit uns herum, und unser Denken bewegt sich nur allzu gern in ausgetretenen Pfaden.
Diese fest eingefahrenen Denkgleise aufzuweichen, nichts oder fast gar nichts als endgültig anzusehen, das oft scheinbar Unmögliche und Widersinnige zu beschreiben, mit Gedanken und Ideen zu experimentieren und dadurch alte Konzeptionen und Vorurteile über den Haufen zu werfen, das ist es, was Science Fiction tut. Das Großartige daran ist, daß sie uns dabei mehr fesseln kann als der spannendste Abenteurerroman, das Faszinierende, daß jede der in der Science Fiction geschilderten Versionen des Unbekannten – ob es sich nun um das Aussehen von Marsmenschen handelt, oder um die Zeitmaschine, oder den Flug durch den Hyperraum – durchaus einmal Wirklichkeit werden kann.
Aber kommen wir noch einmal auf unseren Marsmenschen zurück. Angenommen, es gibt Fliegende Untertassen, und angenommen, eine davon landet endlich einmal auf der Erde. Und
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