Die rechte Hand Gottes
Südwestfrankreich im Jahr 1683: Ein mißhandelter Koch serviert seinen Herrschaften zum Sonntagsmahl den Kopf ihres Kindes mit den Worten »Rache muß heiß genossen werden.« Der Koch wird zum Tode verurteilt, die Vollstreckung duldet keinen Aufschub. Doch leider fehlt den Stadtvätern von Bellerocaille momentan ein Henker. Das ist die Stunde des Justinien Pibrac, eines kleinen Gelegenheitsdiebs, der zu Galeerendienst verurteilt wurde: Er erhält seine Freiheit im Austausch für eine gelungene Hinrichtung des Kochs. Und schon bald hat Pibrac über die Stadtgrenzen hinaus einen Ruf als zuverlässiger Scharfrichter. Eine große Henkerdynastie ist geboren, die über acht Generationen ihres Amtes waltet, bis der neunte Scharfrichter der Familie, Saturnin Pibrac, kurz nach dem Ablegen seiner Meisterprüfung durch den Ersten Weltkrieg arbeitslos wird.
Mit schwarzhumorigem Augenzwinkern und üppiger Fabulierfreude entwirft Michel Folco das satirische Psychogramm einer Familie, eines anrüchigen Berufstandes und einer ebenso anrüchigen Gesellschaft, in der Heuchelei als Tugend, Ehrlichkeit als Torheit betrachtet wird.
Autor
Michel Folco, geboren 1943, arbeitete nach seinem Studium bei verschiedenen Fotoagenturen in Paris und New York. »Die rechte Hand Gottes« ist der erste Roman des Franzosen und wurde 1993 von Christian Fechner verfilmt.
Michel Folco bei btb
Der Wolfsjunge. Roman (72020)
Die Originalausgabe erschien 1991 unter dem Titel »Dieu et nous seuls pouvons« bei Éditions du Seuil, Paris
Barbara Reitz ist Mitglied im Kollektiv Druck-Reif.
Umwelthinweis:
Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches
sind chlorfrei und umweltschonend.
btb Taschenbücher erscheinen im Goldmann Verlag,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann.
2. Auflage
Genehmigte Taschenbuchausgabe November 1997
Copyright © 1991 by Michel Folco
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1993
by Wilhelm Goldmann Verlag, München
Umschlaggestaltung: Design Team München
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
MD - Herstellung: Augustin Wiesbeck
Made in Germany
ISBN 3-442-72237-3
ERSTER TEIL
1
Baronat Bellerocaille, königliche Provinz Rouergue,
August 1683
Mollig weich in die bequemste, das heißt wärmste Ecke des Bienenkorbes gebettet, dösten die Drohnen vor sich hin. Eine von ihnen erwachte und hatte Hunger. Sie bewegte sich gerade träge auf eine Honigwabe zu, als sie eine ungewöhnlich große Zahl von Arbeiterinnen im Stock bemerkte. Zu dieser fortgeschrittenen Stunde des Vormittags hätten sie eigentlich schon längst unterwegs sein müssen, um Honig zu sammeln. Das große, dickbäuchige und behaarte Männchen setzte seinen Weg fort und stieß auf eine Gruppe Bienen, die ihm den Weg versperrten. Es wollte sie beiseite schubsen, als diese - was wirklich unvorstellbar schien - sich ihm widersetzten und sich auf es stürzten. Ehe es begriffen hatte, wie ihm geschah, durchtrennte eine der Bienen bereits den Teil, das seinen Hinterleib mit dem Bruststück verband, während eine zweite die Venen seiner Flügel zerfetzte und eine dritte den Spalt zwischen den Ringen und dem Panzer suchte und fand, um ihm dann ihren giftigen Stachel ins Innere zu bohren. Der beißende Geruch des Giftes breitete sich im Bienenstock aus und gab das Signal zur Schlacht.
Die Königinnen waren begattet worden, und die Zeit des Winterschlafs rückte näher; so brauchten die Arbeiterinnen diese untätigen, gefräßigen und nutzlosen Tölpel nur noch zu beseitigen.
Die überrumpelten Drohnen, die keinen Stachel hatten und sich nie zuvor hatten verteidigen müssen, dachten nur noch daran, durch das Einflugloch des Bienenkorbs zu entkommen. Einigen gelang die Flucht.
Eine von ihnen überflog die Festungsmauern des Markt-fleckens, worauf sie sich in die Küche des Goldschmiedemeisters Abel Crespiaget verirrte und mit voller Wucht auf das rechte Auge von Pierre Galine, dem Küchenmeister, prallte, der gerade damit beschäftigt war, eine Krebssuppe zuzubereiten. Der Mann stieß einen Schmerzensschrei aus und ließ dabei eine ganze Handvoll Gewürze in die Suppenschüssel fallen.
Nachdem das Insekt gegen die Fliesen geprallt war, flog es ein wenig benommen weiter und verschwand durch die Luke, die auf die Rue Magne hinausging.
Pierre Galine stand gerade in
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