Galaxis Science Fiction Bd. 11
denen die letzten Tafeln in die Finger gerieten, mehr als begierig, sie zu entziffern. Soweit bekannt ist, wurde die Schrift zum letzten Male im Jahre 1770 benutzt, als die Häuptlinge ihre Unterschrift auf einen Vertrag mit Spanien setzten. Inzwischen, war aber mehr als ein Jahrhundert vergangen, und keiner der Eingeborenen auf der Insel konnte sie noch lesen. Der erste Versuch, sie zu entziffern, wurde deshalb auch nicht auf der Osterinsel gemacht, sondern woanders.
Im Jahre 1871 hatten an die zweihundert Eingeborene unter Führung von Missionaren die Osterinsel verlassen und waren nach Tahiti ausgewandert. Der Bischof von Tahiti erfuhr, daß einer der Männer, Metoro Taou-aou-ré, die Schrift noch lesen könnte. bestellte den Mann zu sich und händigte ihm ein paar Tafeln aus, die er vorlesen sollte.
Anfangs schien alles wunderbar glatt zu gehen. Metoro rezitierte die Tafeln in einem seltsamen Singsang, und der Bischof notierte sich die betreffenden Wörter. Er konnte sich noch während des Vorlesens davon überzeugen, daß bestimmte Wörter bestimmten Zeichen zugeordnet waren. Anschließend bat der Bischof Metoro, ihm die einzelnen Wörter zu übersetzen, und Metoro entsprach seinem Wunsch.
Das Ergebnis war eine Liste von fünfhundert verschiedenen Wörtern und Ausdrücken, mit deren Hilfe man jetzt jede Tafel hätte entziffern können sollen. Nun, in gewisser Weise konnte man das auch. Man konnte zumindest die Wörter auf den Schreibtafeln aussprechen. Nur ergaben sie keinen Sinn.
Der zweite Versuch einer Entzifferung wurde auf der Osterinsel unternommen. Von einem alten Mann, Ure Vaeiko, hieß es, daß er die Tafeln lesen könnte, doch er weigerte sich anfangs aus religiösen Gründen, sie zu lesen. Dem Amerikaner Thomson, Zahlmeister des Schiffes Mohican, gelang es, den alten Mann zu überreden, seine Skrupel zu überwinden.
Er begann zu lesen – oder besser, zu rezitieren, denn es stellte sich schnell heraus, daß er gar nicht richtig las.
Als er darauf hingewiesen wurde, antwortete er, daß er zwar nicht die Bedeutung der einzelnen Zeichen, wohl aber den Inhalt der Tafeln kennen würde. Und was er rezitierte, war auch sinnvoll, nur konnte keine Verbindung zwischen den Wörtern, die er sprach, und den Symbolen auf den Holzbrettchen hergestellt werden.
Sprachforscher stimmen im großen und ganzen darin überein, daß die Schrift der Osterinsel vermutlich gar keine Schrift im herkömmlichen Sinne ist. Die Schüler lernten das auswendig, was ihre Lehrer vorher schon auswendig gelernt hatten, und die Tafeln waren wohl nichts anderes als Gedächtnisstützen. Das war zwar eine enttäuschende und wenig nutzbringende Schlußfolgerung, doch trug sie den wenigen, bekannten Tatsachen Rechenschaft. Offensichtlich kamen sowohl der Bischof von Tahiti – sein Name war übrigens Tepano Jaussen – als auch der Zahlmeister Thomson zu spät.
VOR ein paar Jahren fiel dem deutschen Philologen Dr. Thomas Barthel eine andere Möglichkeit ein. Sprachforscher wissen nur zu gut, wie oft man sich bei der Entzifferung alter Schriften täuschen kann. Vielleicht, so überlegte sich Dr. Barthel, waren Bischof Jaussens Methoden für diese Aufgabe nicht die richtigen gewesen. Er beschloß, die Originalaufzeichnungen ausfindig zu machen, die er dann in einer Bibliothek der katholischen Kirche in der Nähe Roms auch wirklich aufstöbern konnte.
Dr. Barthel fand heraus, daß Bischof Jaussen blind gegenüber gewissen Stellen in Metoro Taou-aou-rés Vortrag gewesen zu sein schien, wenn dieser nicht mehr weiter wußte und einfach herumriet.
Er strich alle die Wörter in dem Vokabular, die ihm falsch erschienen, und nimmt jetzt an, daß der Rest glaubwürdig ist.
Eine der übersetzten Tafeln berichtet, daß die Osterinsulaner von einer anderen Insel kamen, was auch die Überlieferungen behaupten. Der Name dieser Insel war – nach dem Text der Tafel – Rangi Tea.
Dr. Barthel hebt besonders eines hervor. Er hat schon ein Drittel aller ihm zur Verfügung stehenden Tafeln übersetzt, aber keine erwähnt die Steinstatuen. Logischerweise muß man daraus schließen, daß die Texte der Tafeln noch in dem Ursprungsland der Osterinsulaner, nämlich der Insel Rangi Tea, entstanden sind, und daß Skulpturen herzustellen erst auf der Osterinsel in Mode kam, wo der weiche vulkanische Tuffstein eine solche Arbeit begünstigte.
Aber welche Bedeutung haben sie?
Unter den vielen Festen der Insulaner gab es auch das des ›Vogelmannes‹, ein
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