Galgeninsel
wird sehr zuvorkommend behandelt.«
»Es gibt Menschen, die sind da anderer Meinung.«
Sie lachte.
»Es dauert noch einen Augenblick, bis meine Kollegin da ist. Wir haben einige Fragen an Sie.«
Anna Kandras nickte stumm. Dann sagte sie etwas verwundert und fragend: »Sie haben einen Esel?«
Das kam sehr überraschend. »Hat Gommert Ihnen das erzählt?«, fragte er etwas ungehalten.
»Nein. Nicht Herr Gommert. Die Tür stand vorher die ganze Zeit auf, weil man mich wohl im Auge behalten muss. Und zwei ihrer Kollegen standen draußen im Gang und haben sich über Ihren Esel unterhalten.« Ihre Stimme wurde etwas dunkler. »Ich wusste erst nichts damit anzufangen, weil öfters der Name Ronsard fiel, und das im Zusammenhang mit Esel … Sie verstehen sicher.«
Schielin verstand.
»Aber dann wurden die Zusammenhänge schon deutlich. So weit ich verstanden habe, scheint ihr Esel krank zu sein. Er schreit nicht mehr.«
Die ganze Angelegenheit war Schielin unangenehm. Was machten sich bloß alle um seinen Esel Gedanken. Er kam sich fast wie ein Tierquäler vor, denn die Gespräche um Ronsard hatten inzwischen etwas Anklagendes. Als würde er das Tier nicht recht behandeln. Und überhaupt. Konnten die Herrschaften ihre Diskussionen nicht so führen, dass Vorgeladene nicht zuhören konnten? Wenn er vorgehabt hätte Anna Kandras zu vernehmen, würde er das jetzt sein lassen müssen, denn diese fühlbar ehrliche Anteilnahme am schlimmen Schicksal von Ronsard machte es ihm unmöglich, mit ihr so hart umzuspringen, wie es unter Umständen erforderlich gewesen wäre.
Er atmete stöhnend aus. »Ja. Ich habe einen Esel und der heißt Ronsard. Aber er ist nicht krank. Es ist nur so, dass er bisher täglich mindestens einmal kräftig geschrien hat. So richtig, wissen Sie? Haben Sie schon einmal daneben gestanden, wenn ein Esel geschrien hat? Da ist schon was dahinter.«
Anna Kandras strahlte. Es war unglaublich. Schielin musste sich zusammenreißen, sie nicht anzuglotzen. Alles hätte er erwartet von dieser Frau, deren kontrolliertes und emotionsfreies Verhalten, deren Beherrschtheit ihn negativ berührt hatte. Aber eine solche Verwandlung nicht. Er sah in dieses befreit strahlende Gesicht und hörte wie sie sagte: »Meine Großeltern hatten auch einen. So einen kleinen grauen. Es war schön.«
»Mhm. Dann kennen Sie sich ja aus.«
Sie lachte, offensichtlich in Erinnerung von Erlebnissen mit diesem Esel. Schielin stand auf. Ihm war eingefallen, dass er noch zu Gommert musste. »Ich bitte Sie noch um ein wenig Geduld. Meine Kollegin wird bald da sein und dann zu Ihnen kommen. Bis dahin wird Ihnen Herr Gommert noch ein wenig Gesellschaft leisten.«
»Ah. Ja«, entgegnete sie nüchtern, »nur noch eine Frage, bitte.«
Schielin wartete.
»Weshalb haben Sie Ihren Esel Ronsard genannt?«
»Weil … Petrarca hätte nicht zu ihm gepasst. Er ist weniger analytisch, eher lyrisch«, lautete Schielins kryptische Antwort.
Er fand Gommert im Kaffeezimmer, wo er damit beschäftigt war, Wasser und Kaffeebohnen nachzufüllen und den Salzbehälter der Spülmaschine zu füllen. Tätigkeiten, die er sorgsam und regelmäßig verrichtete. Da gab es keinen Grund zu klagen.
»Was erzählst du bitte für einen Käse über Ronsard?«, fegte Schielin ihn an.
Gommert drehte sich zu ihm um, hatte bereits seinen Wieso-immer-ich-Blick aufgelegt und sagte gar nichts.
»Die Kandras fragt mich nach meinem Esel.«
»Ach so«, Gommerts Gesichtszüge entspannten sich umgehend. »Ich hab mich nur mit Funk am Gang unterhalten. Kann sein, dass sie was aufgeschnappt hat.«
Schielin wollte gerade nach dieser ertrunkenen Frau Kahlenberg fragen, als Lydia hereinschneite. Umgehend berichtete sie von den Ergebnissen ihrer Ermittlungen.
Schielin versuchte es zusammenzufassen. »Der Kubasch ist also zu den Kaufinteressenten von Kandras gefahren und hat denen auf deutliche Weise zu verstehen gegeben, die Finger von Geschäften mit Kandras zu lassen.«
Sie klopfte mit den Knöcheln ihrer rechten Hand bestätigend auf die Tischplatte. »Genau! Kubasch hat dem Kandras die Kunden vertrieben. Der hat versucht den Kandras fertig zu machen. Und zwar auf die ganz üble Tour.«
»Und er hatte exakte Informationen über die Kunden. Der Kandras hat das sicher nicht herumposaunt, mit wem er gerade in Verkaufsverhandlungen stand. Irgendjemand muss dem Kubasch doch gesagt haben, der Dr. Jehlen und die Frau sowieso, stehen kurz vor Geschäftsabschluss«, ergänzte
Weitere Kostenlose Bücher