Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
Bärenfallen bauen, Hirsche ausnehmen, das ganze Programm. So zumindest stelle ich mir den Kurs vor. Er trägt den etwas kryptischen Namen «Coyote Mentoring», Gastgeber ist die Wildnisschule Wildeshausen, und wie der Name schon vermuten lässt, liegt sie irgendwo mitten in der Pampa.
Eine halbe Ewigkeit irre ich durch einen lichten Birken- und Kiefernwald, dann entdecke ich ein Haus, das mich an ein Schullandheim erinnert. Die Wände im Foyer sind in Pastellfarben getupft, an der Garderobe hängen bunte Gore-Tex-Jacken, gefütterte Westen und ein großer asiatischer Gong, und auf dem Boden liegt ein Haufen aus Trekkingstiefeln und Sandalen. Leider komme ich viel zu spät. Der Lehrgang hat schon begonnen, und Myriam, die Seminarleiterin, bittet mich, erst einmal einen Tee im Wintergarten zu trinken. Mit ihrem grünen Pulli und der braunen Mähne erinnert sie etwas an Ronja Räubertochter, doch dafür ist sie eigentlich viel zu schön. Sie sagt, ich solle mich bis zum Mittagessen gedulden. Danach müsse die Gruppe entscheiden, ob ich noch zu ihr stoßen darf.
Ich kann aus fünf Sorten Tee auswählen: Schwarz, Grün, Weiß, Rot und Yogi Tee. Auch die Kannen haben unterschiedliche Farben. Der schwarze Tee ist in der weißen Kanne, der rote in der blauen Kanne, der grüne in der schwarzen Kanne und so weiter und so fort. Mich überfordert das alles, ich gieße mir einen Getreidekaffee ein, lasse mich auf einem türkisfarbenen Holzstuhl nieder und sehe mich um. Der Wintergarten befindet sich unter einer langgezogenen, verglasten Dachschräge, ich sitze quasi direkt im Wald. Ein friedlicher Ort, wäre da nicht dieser Lärm. Es hört sich an, als würde die Küchenchefin nebenan mit Töpfen um sich werfen. Kocht sie, oder spielt sie Schlagzeug? Auf der hellblauen Fensterbank liegt ein Stapel Flyer, und ich vertreibe mir damit die Zeit. Das Moor- und Bauernmuseum Benthullen-Harbern lädt ein:
Wie war es noch, das Leben auf dem Land in der Mitte des letzten Jahrhunderts? Besichtigen Sie eine liebevoll nachgebaute Moorlandschaft, historische Trecker und Ackergeräte, zahlreiche komplett eingerichtete Handwerksbetriebe vom Schuster bis zum Schmied oder eine Zahnarztpraxis und einen Friseursalon mit zig Föhnen. Werfen Sie auch einen Blick in die ‹gute Stube› und lassen Sie sich im Cocktailsessel von Rudi Schurickes Caprifischern berieseln.
Klingt nett. In Wardenburg gibt es ein Schreibmaschinenmuseum, zwischen Delmenhorst und Harpstedt pendelt im Sommer eine historische Dampfeisenbahn, und das Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg kündigt die Sonderausstellung «Außerirdische Steine» an. Das Prunkstück der Sammlung: ein Chevrolet Malibu, dessen Heck 1992 in New York von einem Meteoriten durchschlagen wurde.
Ich finde auch eine Broschüre des Hauses. Jetzt weiß ich endlich, wo genau ich hier gelandet bin: Der Ort heißt Prinzhöfte-Horstedt, und bei dem vermeintlichen Schullandheim handelt es sich um ein «Kultur- und Tagungshaus für ganzheitliches Lernen». Das Gebäude sei «nach permakulturellen Gesichtspunkten gestaltet» und befördere «eine Atmosphäre der Kreativität und Ruhe». Ich ahne Böses. Manchmal dringt kindliches Gelächter aus den Seminarräumen, manchmal auch sphärische Flöten- und Gitarrenklänge. Es ist kurz vor eins, und nun höre ich die Teilnehmer singen: «Ich mag die Bäume, ich mag das bunte Laub, ich mag die Gräser, ich mag hier jeden Strauch, ich mag das Eichhörnchen, die Vögel hier im Wald, du-pi, du-pi, du-pi, du-pi, du-pi, du-pi, du-pi, du-pi, du.»
Es scheint das Pausenlied zu sein, denn jetzt jagen die Wildnisfreunde ans kalte Buffet. Meine Klischees erfüllen sich sofort: Norwegerpullis, Latzhosen, Batiktücher, Birkenstock. Allerdings füge ich mich mit meinen braunen Wollsocken, dem schwarzen Fleece und der Fidel-Castro-Kappe ganz wunderbar ein. Die Köchin hat sich wirklich ins Zeug gelegt, es gibt Kichererbsensalat, Mozzarella und Tomaten, Auberginenpolenta, Grießbrei und «vegetarische Fleischgerichte auf Anfrage». Dazu fällt mir ein, dass ich schon vor Jahren ein unschlagbares Geschäftsmodell entwickelt habe, das mich eines Tages sehr reich machen wird – ich möchte vegetarisches Angeln anbieten. Wie genau das funktionieren könnte, muss ich mir allerdings noch überlegen.
Das Essen ist erstaunlich lecker, und Myriam räumt ein, dass sie den Seminartitel «Coyote Mentoring» selbst etwas verkopft findet. Kojoten seien eben besonders elegante und
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