Ganoven im Schlosspark
Bruder. „Schau genau zu, wie ich es mache!“ Sie rieb einen flachen Stein zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger, bückte sich leicht, holte aus und warf. Der Stein flog durch die Luft, titschte ein-, zwei-, drei-, vier-, fünfmal auf der Wasseroberfläche des Seerosenteichs auf, bevor er lautlos versank.
„Bravo! Bravo! Bravissimo!“, rief Freiherr von Schlotterfels und klatschte begeistert Beifall, dass seine Spitzenmanschetten nur so flatterten. „Du machst dich! Fünf Sprünge sind eine passable Leistung. Jedoch muss ich dich darauf hinweisen, dass zu meinen Lebzeiten mein schlechtester Wurf bei sieben Sprüngen lag.“
„Natürlich“, seufzte Paula und verdrehte die Augen.
Sherlock war angeblich immer in allem der Beste gewesen. Nur zu schade, dass keiner seiner Zeitgenossen mehr lebte, um seine Behauptungen zu bestätigen.
„Möchten Sie es vielleicht auch mal versuchen?“, fragte Paula und hielt dem Gespenst herausfordernd einen Stein unter die adlige Nase.
Freiherr von Schlotterfels zögerte, schüttelte dann aber den Kopf. „Leider kann ich diese Herausforderung nicht annehmen, meine Liebe. Ein eingeklemmter Nerv in der Rückengegend verbietet mir jede hastige Bewegung. Bedaure!“
„Stammt der von Ihrem Sturz von der Fensterbank?“, fragte Paula grinsend. „Geben Sie’s ruhig zu, Sie haben sich vor Long John Silver ganz schön erschrocken.“
Sherlock betrachtete seine Fingernägel, während er gelangweilt antwortete: „Von Erschrecken kann keine Rede sein! Ich habe lediglich für eine Sekunde das Gleichgewicht verloren.“
Max und Paula kicherten.
„Sieh an, sieh an!“, raunte das Gespenst. „Der Tigerbändiger beehrt uns.“
Max und Paula folgten seinem Blick. Benedikt Ussenkamp lief durch den Park und kam auf sie zu.
„Der Abend ist so schön. Darf ich mich ein bisschen zu euch setzen?“, fragte er. Und schon saß der junge Mann neben Max, streifte seine Turnschuhe ab und steckte die Füße in das kalte Wasser. „Ah, das tut gut!“, seufzte er genüsslich.
„Es riecht. Schweizer Käse. Uralt!“, mäkelte das Gespenst leise und erntete einen bösen Blick von Paula.
„Oh, Entschuldigung!“, sagte Herr Ussenkamp zu Max. „Riechen meine Füße?“
„Sollte ein Witz sein“, antwortete Max schnell. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, dass die Leute ihn für den Urheber von Sherlocks spitzen Bemerkungen hielten. Einerseits war das ein Glück, denn so wunderte sich niemand über die Stimme, die scheinbar aus dem Nichts ertönte. Andererseits musste Max’ Superhirn sich in solchen Fällen in Millisekunden eine passende Antwort überlegen. Wie gut, dass er so schnell denken konnte.
„Entschuldigung, Herr Ussenkamp!“, sagte Max kleinlaut.
„Ach!“, rief der, tauchte seine Hände ins Wasser und fuhr sich dann durch seine schwarzen Locken. „Hört doch mit dem Gesieze auf. Ich bin Benedikt. Für euch Benny. Einverstanden?“
Paula und Max nickten. „Geht klar!“
„Verbrüderung mit dem Pöbel!“, lispelte Sherlock entsetzt, während er Lilly dabei beobachtete, wie sie ausgelassen durch den Schlosspark wetzte.
Benny ließ seinen Blick über das Schloss gleiten. „Ihr wohnt ziemlich nobel“, bemerkte er.
„Wir bewohnen nur die erste Etage über dem Dienstbotentrakt“, erklärte Max. „Im Ostflügel hat unser Vater ein Barockmuseum eingerichtet. Dort sieht alles fast so aus wie damals, als hier noch die Familie von Schlotterfels wohnte.“
„Mann, müssen die Schotter gehabt haben!“, staunte der junge Mann.
„Das glaube ich auch“, sagte Max. „Auf jeden Fall hatten sie einen Haufen Diener. Als Gärtner hättest du damals wahrscheinlich zusammen mit den Kutschern und Stallburschen über den Ställen gewohnt. Aber die sind irgendwann verfallen und später abgerissen worden.“
Benny nickte.
Langsam ging die Sonne unter. Paula beugte sich vor, damit sie Benny besser sehen konnte. Er erinnerte sie an irgendeinen Schauspieler, aber an welchen?
„Wo kommst du eigentlich her?“, fragte Paula.
„Aus dem Norden“, antwortete Benny schläfrig. Er schloss die Augen und hielt sein Gesicht in die Abendsonne. „Vor einigen Wochen habe ich meine Prüfung als Gärtner bestanden. Seitdem reise ich durch das Land und bleibe, wo es mir gefällt. Wenn ich Geld brauche, nehme ich irgendwo eine Arbeit als Gärtner an. Und wenn die Taschen dann wieder gefüllt sind, ziehe ich weiter. Mal sehen – vielleicht schaffe ich es auf diese Weise bis nach
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