Gargantua Und Pantagruel
nicht genug? Papst Alexander tat es auch so, nach dem Rat seines jüdischen Arztes, und lebt', bis er starb, seinen Neidern zu Leid. Meine ersten Meister haben mich dran gewöhnt und gesagt, das Frühstücken mach ein gut Gedächtnis, tranken derhalb auch immer vorweg. Ich befind mich gar wohl dabei, ich speis' nur desto besser drauf zu Mittag.«
Als er nach allem Vorteil nun wohl gefrühstückt, ging er zur Kirchen, und trug man ihm in einem großen Korb ein dick verpantoffelt Brevierbuch nach, das wog im Schmeer, Klausuren und Pergament elf Zentner sechs Pfund, was weniges darunter oder drüber, da hört' er dann etwa sechsundzwanzig bis dreißig Messen. Inzwischen kam sein Kaplan auf den Platz, in seiner Kapuze steckend wie ein Wiedehopf, auch seinen Atem mit Weinbeersirup geziemendlich balsamiert. Mit dem mämmelt' er all sein Kyrieleisli und körnt' sie so sorgsam aus, daß auch nicht ein einzigs Sämlein davon zur Erden fiel. Wann er dann wieder aus der Kirch ging, führt' man ihm auf einer Ochsenschleif einen großen Rosenkranz von Sankt Claudi nach, jedwede Kugel dran so schwer als ein Kinderkopf. Damit ging er im Kloster, im Kreuzgang oder im Garten auf und ab, und betet' ihrer mehr denn sechzehn Klausner an den Fingern herunter.
Darnach studiert' er ein leidig halb Stündlein, die Augen starr auf sein Buch gerichtet, aber sein Seel (wie der Komikus sagt) war in der Küche.
Seicht' sodann ein Nachtgeschirr bis an den Rand voll und setzt' sich zu Tisch; und weil er phlegmatischer Natur war, fing er seine Mahlzeit mit etlichen Dutzend Schinken, geräucherten Ochsenzungen, Würsten und andern dergleichen Durstschürern an. Mittlerweil warfen ihm vier seiner Leut ohne Unterlaß einer nach dem andern Senf mit vollen Schaufeln ins Maul. Drauf tat er einen erschrecklichen Zug weißen Weins, um die Nieren zu kühlen. Aß dann, was just die Jahreszeit gab, so viel ihm beliebt', und hört' alsdann mit Essen auf, wann ihn der Bauch spannte. Im Trinken hatt' er kein Maß noch Regel; denn, sagt er, des Trinkens Schrank und Ziel wär, wenn des trinkenden Kerls Korksohle in den Pantoffeln um einen halben Schuh auflief und in die Höhe schwöll.
Siebzehntes Kapitel
Wie Gargantua beim Ponokrates solcher Lehrzucht teilhaft ward, daß ihm nicht eine Stund vom Tag verlorenging
Als Ponokrates die falsche Lebensart des Gargantua erkannt, beschloß er, ihn in seinen Studien anders zu führen: doch übersah er's ihm noch die ersten Tag, da die Natur nicht ohn große Gewalt eine plötzliche Ändrung erleiden mag. Um also desto reiflicher sein Werk zu beginnen, ersucht' er einen gelehrten Arzt derselben Zeit, mit Namen Meister Theodor, darauf zu denken, wie man den Gargantua auf bessern Weg geleiten möchte. Selbiger purgiert' ihn kanonisch mit Nieswurz von Anticyra und reinigt' ihm durch solche Arznei das Hirn von aller Alteration und bösen Gewohnheit. Auch bracht' ihm Ponokrates durch dies nämliche Mittel alles in Vergessenheit, was er unter seinen alten Lehrern erlernt hatt'. Solches besser ins Werk zu richten, führt' er ihn in die Versammlungen der gelehrten Leut ein, die es dort gab, aus deren Nachahmung ihm der Geist und das Verlangen wuchsen, auf eine andere Art zu studieren und sich besser herfürzutun.
Darnach half er ihm dergestalt ins Gleis der Studien, daß er auch nicht eine Stund vom Tag verlor, vielmehr sein' ganze Zeit mit edler Kunst und Wissenschaft zubrachte. Es erwacht' demnach Gargantua gegen vier Uhr des Morgens. Während man ihn abrieb, ward ihm eine Seite aus der Heiligen Schrift laut und vernehmlich hergelesen mit jeden Kapitels schicklichem Vortrag, und war dazu ein junger Knab angestellt, namens Anagnostes. Auf Anlaß und Inhalt selbiger Lektion erging er sich öfters im Gebet, Lobpreis und Danksagungen gegen den guten Gott, des Majestät und wunderbares Gericht ihm die Schrift offenbaret hätt'. Dann begab er sich auf den heimlichen Ort, um sich der natürlichen Verdauungsmaterie zu entladen. Da wiederholet' ihm sein Präzeptor, was gelesen worden war, und legt' ihm die schwerverständlichsten Punkte aus. Kamen sie dann wieder zurück, so beschauten sie sich den Stand des Himmels, ob er noch war, wie sie ihn abends zuvor gemerkt, in welche Zeichen die Sonn am selbigen Tag einträt, desgleichen der Mond. Wenn dies vollbracht war, ward er gekleidet, gestrählt, geputzt und parfümieret, währenddes man mit ihm die Lektiones des vorigen Tages repetiert'. Die sagt er selbst auswendig her und gab dazu
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