Gartengeschichten
ihrer Hochzeit trug sie ein dunkles Kostüm, ich sah zum erstenmal ihre Beine. Vom Ehestand ließ sie sich aber nicht ihr Leben verderben, sie machte weiter wie bisher. Ihren Mann sah ich selten. Er war auch Gärtner, schweigsam und knorzig, mitarbeiten ließ sie ihn in ihrem Garten nicht.
Mann und Frau im Garten tut kein gut, sagte sie. Die Männer ziehen immer in den Krieg, gegen Läuse, gegen Unkraut, gegen falsches Saatgut, gegen das Wetter, was weiß ich. Unsereins redet dem Land gut zu, bis es macht, was wir wollen. Ihre Überredungskunst führte zu wunderbaren Ergebnissen: Blumenkohlköpfe so weiß wie Wolken, halbmeterlange, saftige Stangenbohnen, Salate mit dicken, zartgelben Herzen – am berühmtesten aber waren ihre Tomaten. Solche wie ihre hatte Gott gemeint, als er die Tomaten erschuf. Sie heißen in Österreich Paradeiser und woanders auch Paradiesäpfel, und wenn man in Annis Gewächshaus eine pflückte und hineinbiß, wußte man, warum.
Aber die Zeichen mehrten sich, daß man Annis Garten für eine Verschwendung von kostbarem Grund und seine blühenden und früchtebringenden Quadratmeter für eine begehrenswerte Beute hielt. Die großen Parks mit den unzeitgemäß feudalen Häusern waren längst leer geräumt, aufgeteilt und vollgebaut worden mit dem, was die Makler Taunusresidenzen nannten. Die bestanden aus zusammengedrängten Herden von postmodernen Reihenhäusern, Gartenstreifchen drum herum, fertig. Pflegeleicht, das Wort kam damals auf. Schließlich wollten es, wie der damalige Bürgermeister der Gemeinde sagte, alle Menschen schön haben. Das sei demokratisch.
Ich hatte das Abitur bestanden und wollte weg. Anni wurde Witwe und trug zum Begräbnis ihres ersten Liebhabers das gleiche dunkle Kostüm wie zu ihrer Hochzeit mit ihm.
Was danach mit ihr geschah, hörte ich nur bruchstückhaft. Wenn ich zu Besuch nach Hause kam, stand mein neues Leben und was ich damit anfangen würde im Vordergrund. Aber meine Mutter hielt mich auf dem laufenden: Annis Grundstück, der wunderbare Streifen Land, war ein Erbpachtgrundstück, so daß es für die Interessenten nicht schwer gewesen sein kann, ihr das alte Häuschen abzuschwatzen. Auch der Bürgermeister, der von seinem Bestreben, es allen Menschen schön zu machen, nicht abließ, redete ihr zu: Sie werde nicht jünger, die Arbeit sei schwer und die angebotene Ersatzwohnung im Dorf ein Paradies.
Er hat ja recht, sagte sie, und zu meinem Erstaunen schien sie über die plötzliche Aufmerksamkeit geschmeichelt.
Wir saßen an ihrem schartigen Küchentisch und tranken Apfelwein, draußen zeigte die Erde noch einmal alles, was sie konnte, in schönster Fülle.
Wahrscheinlich ist es Zeit, sagte Anni. Sie war nicht zornig,hielt nicht fest und zeigte keinerlei Kampfeslust. Das konnte ich nicht verstehen. Für mich war sie mit diesem Streifen Erde, auf Gedeih und Verderb, für immer verbunden.
Hast du eigentlich noch Untermieter? fragte ich.
Klar, sagte sie und lächelte ein bißchen. Warum nicht? Solange es noch geht. Der jetzige hilft mir im Garten.
Mann und Frau im Garten tut kein gut, sagte ich und lachte. Das ist was anderes, antwortete sie ernst. Der hier macht, was ich sage.
Schau dich noch mal um, sagte sie nach einem kleinen Schweigen.
Und dann wollte sie alles über die Uni wissen, über Professoren und Kommilitonen.
Als ich das nächste Mal zu Hause war, sagte meine Mutter: Komm mit.
Wir gingen durch das rostige Törchen, es war Herbst, die meisten Beete ordentlich abgeräumt. Ganz unten am Ende des Grundstücks lag ein zusammengeschobenes Schutthäufchen. Das war von Annis kleinem Haus übriggeblieben. Wir heulten beide.
Hat sie die Katzen mitgenommen? fragte ich.
Die, die sich haben mitnehmen lassen, sagte meine Mutter. Ich stelle Futter hin, für die anderen. Sie hatte zum Schluß nicht mehr so viele wie früher.
Ich war wütend über die Gottergebenheit, mit der meine alte Freundin sich hatte vertreiben lassen. Natürlich verstand ich damals überhaupt nicht, daß irgend etwas, das man liebt, zu einem Ende kommen kann. Und daß man sich damit abfindet, weil das, womit man sich letztlich abfinden muß, noch viel größer und dunkler ist.
Ich hörte nicht zu, als mir nur wenige Monate später meine Mutter von abgeholzten Obstbäumen, zertrümmertenGlashäusern und anrückenden Baumaschinen berichtete. Ich wollte nichts davon wissen. Ich lebte ganz woanders.
Aber eines Tages kam ich nach Hause zurück und sah, was auf Annis goldenem
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