Gartengeschichten
Boden in der Zwischenzeit gewachsen war. Das Ideal unseres Bürgermeisters war erreicht, Haus reihte sich an Haus, sie hatten kleine Säulen an den Eingängen und waren einander so nah, daß sich die Bewohner gegenseitig die Nudeln in der Suppe zählen konnten. Nun hatten sie es allesamt gleich schön.
In einem der winzigen Vorgärten hatte sich eine gelb-rot gestreifte, tapfere Tulpenschar gehalten, in militärischer Formation.
Die Garde ergibt sich nicht, sagte meine Mutter und lachte. Anni lebte nur noch wenige Jahre.
Die Gärten der Misanthropen
»kein Baldachin rot, noch ein dicht / Zedergewölb wird verstecken euch, / weder Tanne / noch Ficht
Hilda Doolittle
Von der Misanthropie gibt es mindestens so viele Varianten wie von Rosen oder Glockenblumen: Misanthropen von Geburt und aus Erfahrung, also ererbte und erworbene Misanthropien, akute sowie chronische. Allerdings bestreite ich, daß es sich um eine Fehlhaltung oder Krankheit handelt. Es ist lediglich eine Form, mit dem Leben und damit auch mit dem Garten umzugehen. Wie groß oder klein der auch sein mag: Seinen Grenzen wird die größte Aufmerksamkeit der misanthropischen Gärtner geschenkt, sein Inneres, das Herz, kommt später – wenn überhaupt. Oft bleibt es leer.
Der Misanthrop liebt lebende Mauern. Dornig müssen sie sein und so hoch, daß man weder in den Garten reinnoch aus ihm rausschauen kann. Tausend wehrhafte Pflanzen hält die Natur zum Mauerbau bereit, und wie effizient die sind, zeigt die legendäre, bis zu fünfzig Meter breite lebende Grenzbefestigung aus dem Mittelalter, das Gebück, von dem im Rheingau noch mächtige Reste zu sehen sind. Weder Pferd noch Wagen, noch Streitmacht konnten überwinden, was da aus Weißdorn und Rotbuche, Brombeeren und anderem Dornenzeug gewachsen war und sich undurchdringlich verschlungen und verbunden hatte.
Im Kleingarten ist es prinzipiell dasselbe, statt gegen Eroberer geht es gegen jeden zweibeinigen Eindringling. Wieviel Erfindungsreichtum und Beharrlichkeit in Schutzhecken steckt, kann der Vorübergehende nicht erkennen. Er gehorcht ja unbewußt dem stummen Befehl der Pflanzen: Schau nicht rein.In England sieht man gelegentlich wunderschöne Heckenkunstwerke, die von ihrer Mischung aus Unordnung in der Pflanzenauswahl und Strenge durch einen unerbittlichen Schnitt geprägt sind. Das ergibt bunt gestreifte Wände aus Berberitze, Buchs, Buche in allen Farben, Weiß- und Rotdorn, manchmal durchzogen von den fast schwarzen Äderungen des Taxus. Wahrscheinlich ist es gar nicht einfach, eine solche Hecke hochzuziehen, denn man muß mit dem Schnitt immer wieder für kleinteilige Verzweigung sorgen, damit die Fläche aus Blättern in allen Größen und Nadelhölzern eine farbige, aber einheitlich plan wirkende Front ergibt. Bei uns sieht man solche Hecken sehr selten, vielleicht sind sie den hiesigen misanthropischen Gärtnern zu anspruchsvoll und anarchistisch. Lieber Thuja oder Taxus, ganzjährig geschlossen. Hainbuche gibt im Winter zuviel preis.
Aus der Vogelperspektive sieht das wahrscheinlich interessant aus: Zwischen den Karos der Felder und den Kontinentformen der Wälder, den Flickenteppichen der Kleingärten und den Steinadern der Städte hocken immer wieder buschige kleine Ich-Inseln in merkwürdigen Formen, geerbte oder zusammengesparte Grundstückchen, oft in schwieriger und bedrängter Lage. Abgrenzen tun sich ja alle. Die Misanthropen aber verbergen sich in ihren Gartenkokons und basteln lebenslang, Schicht um Schicht, an deren Undurchdringlichkeit.
Der erste Gärtner dieser Art, den ich kennenlernte, war ein Nachbar, der Herr Hildesheimer hieß. Heute weiß ich natürlich, daß es mit diesem Namen für ihn eine Menge Gründe gegeben haben mußte, sich nach seinem Davongekommensein ins Volk der Misanthropen zu flüchten, jener sonderbaren Gemeinschaft, die letztlich immer recht behält. Wie er lebte, was bei ihm wuchs, ob seine Behausung ein Palast, eineHütte oder irgendwas dazwischen war, konnten wir Kinder trotz langer Hälse und mancher von Dornen vereitelter Einbruchsversuche nicht herausfinden.
Damals wußten wir nur: Er liebt Brombeerhecken und kann Kinder nicht leiden. Das veranlaßte uns zu einem Experiment. Ein großer Kirschbaum wuchs an Herrn Hildesheimers Grundstücksgrenze. Er stand da, von feindseligem Gesträuch und Gebüsch flankiert, blühte jedes Frühjahr überschwenglich und warf im Sommer Kirschen zu uns rüber. Das gefiel seinem Besitzer nicht, jedenfalls
Weitere Kostenlose Bücher