Gartengeschichten
vollkommen frei vom Wunsch nach Wahrnehmung, nach Sichtbarkeit, nach gesellschaftlicher Anerkennung welcherArt auch immer. Sie war die Gärtnerin. Einen anderen Boden als ihren eigenen brauchte sie nicht.
Ihre Beziehung zu Blumen war aristokratisch. Rustikalität mochte sie nicht, die beliebten bunten Sträuße, die aussehen sollten wie einmal durch den Garten gewandert, fand sie ordinär. Ikebana, das damals als eine Art florales Sushi zum Hausfrauenhobby wurde, fand sie albern. Sie züchtete mächtige Gladiolen für strenge Sträuße, grade, einfarbige Tulpen liebte sie, aber auch Dahlien, die Kurt Tucholsky als Georgine, die ordentliche Blume, sehr zu Recht feiert.
Besonders gern stellte sie sich gärtnerischen Herausforderungen, so dem Wunsch eines edlen Blumengeschäfts in der Stadt nach langbeinigen blauen Hyazinthen . Hyazinthen als Schnittblumen, nicht nur im Glas mit Papierhütchen drauf, das war neu und spannend. Wir experimentierten mit Dunkelheit und Licht, deckten die keimenden Zwiebeln immer wieder ab – mußte man viel oder wenig Wasser geben? Schließlich konnte Anni stolz bündelweise tiefblaue Hyazinthen mit hinreichend langen Beinen liefern.
Sie brachte mir nicht nur pikieren, Primelsträußchen im Akkord binden und richtiges Jäten bei, sondern auch, wie man Tulpen erntet. Nein, nicht abmäht, wie sie das in Holland machen mit ihren endlosen Tulpenfeldern – unsere waren schließlich Individuen, und es galt, ihnen die Chance aufs Wiederkommen im nächsten Jahr nicht zu nehmen. Seit Urzeiten, lange bevor Annis Eltern die Gärtnerei bewirtschaftet hatten, wuchs im oberen Teil des Grundstücks, nahe meinem Törchen, eine kleine Armee von Tulpen. Sie kamen – obwohl Tulpen durch ihre Tochterzwiebeln eigentlich ja wandern – jedes Jahr in militärischer Ordnung wieder, parademäßig aufgestellt, ein seltsamer und lustiger Fremdkörper im Garten. Ähnlich der Schweizergarde waren sie gelb-rot gestreift, waszu ihrem Auftritt paßte. Anni brachte mir bei, die Stiele ganz grade von oben mit einem sanften, aber nachdrücklichen Ruck so aus der Zwiebel zu ziehen, daß die an ihrem Platz in der Erde blieb. Diese merkwürdig martialisch daherkommende Blumenerbschaft war nicht ihr Geschmack – sie bevorzugte schwarze Tulpen oder rein weiße, die ich beide abscheulich finde –, aber wir verkauften sie gut. Niemand wußte, wie die Sorte hieß. Aber ich habe solche wie sie auf den Blumenbildern des Jan van Huysum gesehen, wo sie in der unglaubwürdigen Gesellschaft von Pfingstrosen und Lilien auftreten. Und in einem Gedicht von Ewald von Kleist kommen sie vor, genau diese muß er gemeint haben mit den Worten: Hoch über streifige Tulpen – / O Tulipane, wer hat dir / Mit allen Farben der Sonne / Den offnen Busen gefüllet? –
Dreimal habe ich in Annis Gärtnereigarten die Jahreszeiten kommen und wieder gehen sehen. Auch die Untermieter kamen und gingen, einer aber blieb länger als die anderen. Er war ein rotblonder, fuchsartig aussehender Typ mit spitzer Nase und frechem Maul. Anni fütterte ihn mit Erdbeerkuchen und Schinkenbroten. Er war nicht hübsch, aber er hatte etwas Desperadohaftes, das uns beiden gefiel. Ich könnte mir vorstellen, daß er eins von den früh erwachsenen Kriegskindern gewesen ist, die mit acht oder neun geklautes Buntmetall oder Zigaretten verhökert hatten und sich im Frieden nicht recht zu Hause fühlten. Damals gab es wohl viele wie ihn. Altersmäßig stand er zwischen mir und Anni. Ich glaube, daß sie mit ihm der Liebe so nah gekommen ist, wie ihr überhaupt möglich war.
Als er verschwand, redete sie eine Zeitlang kaum etwas, dann fanden die Wörter langsam wieder zu ihr zurück, aber nur Gartenwörter. Sie plante, ihren Fliederhain zu roden.
Bist du verrückt geworden? sagte ich.
Man kann den Boden besser nutzen, antwortete sie. Flieder lohnt sich nicht. Nur der aus Treibhäusern, der frühe.
Sie tat es dann doch nicht und begann sich wieder zu gleichen. Untermieter nahm sie nur noch monatsweise auf.
Wohin wirst du nach dem Abi gehen?
Sie sprach das Wort Abi zögernd aus, hätte lieber Abitur gesagt. Abitur war für sie ein magisches Wort, das goldene Lebenstor, an das für sie nicht zu denken gewesen war, das sie mir aber nicht neidete.
Weg, sagte ich.
Unsere gemeinsame Zeit neigte sich dem Ende zu, das wußten wir beide. Was nur sie wußte, war, daß die Tage ihres Gartens gezählt waren.
Sie hatte ihren inzwischen verwitweten Altgeliebten geheiratet, auf
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