Gartengeschichten
sahen wir ihn manchmal grimmig über das undurchdringliche Gebüsch schauen. Oder war sein Gesicht traurig und einsam? Das hätte aber nicht in unsere Geschichte gepaßt. Kinder brauchen immer einen Feind, er war unserer, basta.
Zu den zahlreichen Mythen der Kindheit über die Macht der Ohnmächtigen – also über die Verheerungen, die man auch als ganz Kleiner an ganz Großen anrichten kann – gehört die Geschichte von den Kupfernägeln, mit denen man starke Bäume in kurzer Zeit zum Sterben bringen kann. Ich weiß bis heute nicht, ob das wirklich stimmt. Aber Tatsache war: Manfred Stichel, meine erste große Liebe, besorgte einen Kupfernagel, wir hauten ihn durch den Zaun hindurch dem Kirschbaum in den Stamm, und im nächsten Jahr starb er. Wir Kinder schauten ihm fasziniert und entsetzt dabei zu und wußten: Das waren wir. Wir hatten unserem Feind gezeigt, wozu wir imstande waren.
Aber dieser Frühling war nicht wie die anderen: Ich drehte den Kopf weg, wenn ich auf dem Weg zur Schule an dem vertrocknenden großen Baum vorbeikam, nachts mußte ich manchmal heulen, und Manfred Stichel liebte ich nicht mehr.
Herr Hildesheimer ließ die Baumleiche stehen, ohne sie mittröstlichen Kletterrosen oder Waldreben zu bemänteln. Wir zogen bald weg.
Der Misanthropengarten ist der geheimnisvollste unter allen Gärten, wahrscheinlich auch der authentischste. Wenn man sich die Penetranz betrachtet, mit der Gartenmoden, -stile, -pflichten, -accessoires jedem, der auch nur zwei Quadratmeter Boden sein eigen nennt, aufgedrängt werden, beneidet man die hinter ihren lebenden Mauern verborgenen Skeptiker und wünscht sich manchmal an ihre Stelle. Nie mehr müßte man das hochnäsige Grinsen der Frau X. ertragen, wenn sie sich über unseren kümmerlichen Phlox beugt, niemals mehr Herrn Y. den Giersch an den Hals wünschen, wenn er uns über richtiges Mulchen belehrt oder den Kopf über unsere Gartengeräte schüttelt. Der als Erfolgsbeweis in Mode gekommene Garten erscheint dem Misanthropen als Ausbund von Verächtlichkeit, denn er hält niemanden für wert, einen Blick ins Innere zu tun: weder in seins noch in das seines Gartens. Warum sich zeigen? Warum Anerkennung in den Blicken des Gegenübers suchen?
Und so sitzt er vielleicht in seiner Hütte, deren Farben der Regen längst weggewaschen hat, unser Menschenfeind. Vielleicht hat er sich einen Château Petrus geleistet – Misanthropen haben ja weniger Unkosten als Leute, die aufs Urteil ihrer Umgebung Wert legen –, und vielleicht liest er Schopenhauer oder Jean Paul. Es könnte gut sein, daß er einen Papagei hat. Seine Rosen sind struppig, seine Erdbeeren teilt er mit einer Schar Schnecken – oder er hat sich einen geometrischen Irrgarten aus Buchs zurechtgeschnitten, in dessen Innerstem er auf die Welt pfeift. Was für ein Leben!
Im großen Stil läßt sich das heutzutage schwer verwirklichen. Ein misanthropischer Park setzt gewisse Feudalstrukturen voraus, die nur noch für sehr viel Geld zu haben sind.Das Schild »Privat! Kein Durchgang!« beeindruckt in Zeiten öffentlicher Gartenbegehungen, Sommerfestivals und Verkaufsshows das Publikum nicht sonderlich. Selbst die knurrigsten Schloßherren und Parkbesitzerinnen sind zu demokratischem Dauergelächel verurteilt, müssen Gartenzeitungsredakteurinnen Rede und Antwort stehen und sich dreihundertmal fragen lassen, womit sie ihre Rhododendren düngen. Also verzieht sich der Misanthrop und sein selteneres weibliches Pendant lieber in verstecktere Ecken, zwischen Bahngleise und in Hinterhöfe.
In Kleingartenanlagen allerdings sind sie fehl am Platz. Zwar gibt es fast in jeder einen Vertreter der Spezies, aber sie spielen dort die Rolle des belächelten oder bekämpften Außenseiters. Meistens haben Misanthropen ihren Schrebergarten von jemandem geerbt. Und wenn sie gedacht haben, sich nun dort der Einsamkeit nicht wie gewohnt in vier Wänden, sondern zwischen Hecken hingeben zu können, haben sie sich geirrt. Über denen pflegen Köpfe zu erscheinen, aus deren Mündern Maßregeln quellen. Bepflanzung, Pflege, Höhe der Hecken: Alles ist Vorschrift! Angeblich soll das in Zeiten moderner Libertinage besser geworden sein, aber das glaube ich nicht. Es haben sich nur die Gesetze geändert, nicht ihre Sachwalter. Der gleiche, der vor zwanzig Jahren die Insektizidspritze anmahnte, fordert jetzt Ohrenhöhlernestchen. Dem misanthropischen Gärtner wird dreingeredet, so oder so, und das haßt er. Kleingartenanlage heißt
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