Gassen der Nacht
an dem er gefunden wurde.«
»Das können Sie.«
Wir verließen die Wohnung. An der Haustür, die nicht zugefallen war, standen die Gaffer. Sie zogen sich zurück, als sie uns sahen. Der Kollege schloß die Tür des Ladens auf und ging als erster hinein. Meine Güte, das war vielleicht ein Geschäft. Wo man hinschaute, Trödel und Krempel. Da konnte kein normal gewachsener Mensch aufrecht stehen, ohne mit dem Kopf irgendwo anzuschlagen. Was dieser Walt Temple im Laufe der Jahre zusammengetragen hatte, war unwahrscheinlich. Der Laden war ein wahres Paradies für Staub und Staubläuse.
Ray Ralston ging vor. Auch er mußte sich ducken, sonst hätte er sich einige Beulen geholt. Er führte mich in den Hintergrund des Ladens, der doch größer war, als ich gedacht hatte.
Masken glotzten mich an. Fetische sahen aus wie bizarre Staubwedel. Alte Töpfe und Pfannen hingen dicht beisammen. Wurden sie von einem Windzug bewegt, klapperten sie gegeneinander.
Ray hatte sich umgedreht. Er winkte mir. »Kommen Sie, wir müssen noch weiter.«
»Wer hat den Toten eigentlich gefunden?« wollte ich wissen.
»Sein Bruder Eric.«
»Zufall?«
»Ja und nein. Er wollte Temple zum Geburtstag gratulieren.«
»Das ist eine verdammte Sache.«
»Kann man wohl sagen.«
»Wie geht es diesem Bruder jetzt?«
»Keine Ahnung, ob er sich von dem Schock erholt hat. Ich nehme es allerdings an.«
»Was macht er beruflich?«
»Er leitet eine Kantine und ist dort der Oberkoch. Mit Trödel hatte er nichts am Hut.«
Ich tauchte unter den Maschen eines alten Fischernetzes hinweg und sah, wie Ralston links neben einem kompakten Schatten verschwand. Der Schatten entpuppte sich als Schrank. Er stand so schief im Raum, daß ich einfach annehmen mußte, daß ihn jemand in diese Lage gerückt hatte. Danach fragte ich Ralston.
Der gab mir keine Antwort und sagte nur: »Hier genau ist es passiert, John.«
»Moment noch! Was ist mit dem Schrank? Der steht so, als hätte er eigentlich anders stehen müssen.«
»Stimmt. Er hat eine Nische verdeckt.«
»Und warum?«
»Kommen Sie näher, dann sehen sie es selbst.« Ich duckte mich und blieb nach einem langen Schritt neben Ralston stehen. Mit der rechten Hand deutete er nach vorn und wies auf einen altertümlichen Standspiegel, dessen blanke Fläche von einem Schnitzwerk aus Holz umrahmt wurde, das für mich die Form von Blumen, Pflanzenstengeln und Dornen hatte, die allesamt ineinander verwoben waren. Obwohl es ziemlich düster war, konnte ich dem Erbauer des Spiegels meine Achtung nicht versagen, denn was er geschaffen hatte, war ein Kunstwerk, viel zu wertvoll für einen alten Laden wie diesen hier.
»Das ist der Ort«, sagte Ray Ralston nicht ohne einen Schauder in der Stimme.
Ich nickte einige Male. Dann schaute ich zu Boden. Die Beleuchtung war schlecht, der Lichtschein huschte wie ein Hauch über die Bohlen hinweg. Trotzdem waren noch die dunklen Flecke zu sehen, die sich auf dem Holz abzeichneten.
»Wir haben das Blut nicht ganz abwischen können«, sagte der Inspektor und hob die Schultern.
»Warum dieser Spiegel?« murmelte ich.
»Ich weiß es nicht.«
»Mir ist es hier zu dunkel, Ray…«
»Sorry, heller wird es nicht.«
»Ich habe eine Lampe.« Mit der rechten Hand holte ich die kleine, aber lichtstarke Leuchte hervor.
Ralston trat etwas zurück. Er nieste. Der Staub hing hier wirklich in der Luft wie ein Tuch. Ich sah ihn auch im Strahl der Leuchte tanzen und glitzern.
Ich ließ den Strahl wandern. Er traf genau die Spiegelfläche. Sie warf blitzende kleine Reflexe, punktuell genau verteilt. Meiner Ansicht nach mußte der Spiegel ziemlich alt sein. Für sein Alter allerdings war die Fläche noch sehr gut erhalten. Sie zeigte nur an den Seiten leichte braune Flecken, ansonsten war die Fläche glatt und auch sauber. Es war ein normaler Spiegel, okay, das nahm ich alles hin. Dennoch war er anders. Irgend etwas gefiel mir an ihm nicht. Ich wußte nur nicht, was es war. Ich hatte es vorhin schon gesehen, doch es war mir wieder aus den Gedanken entglitten.
Der Strahl wanderte weiter. Ich maß mit ihm die gesamte Spiegelfläche ab, ich ließ ihn auch in die Höhe gleiten und erreichte den oberen Rand des Spiegels und damit die Holzumrandung. In der Mitte entdeckte ich die flache Einkerbung, die einer Mulde glich. Allerdings war sie nicht leer, sondern wurde von einem geschnitzten Kopf ausgefüllt. Ich leuchtete ihn an.
Eine graubraune Haut, ein Maul, Augen wie Kugeln und ein Holz, das
Weitere Kostenlose Bücher