Gebissen
ein, auch wenn er noch nie von geflügelten Fischen gelesen hatte und diese Auswüchse für Flügel auch ziemlich klein waren. »Und irgendwie verkehrt herum, als wären sie umgedreht worden.«
Jochen nickte. »Vielleicht ist es wegen Tschernobyl.«
»Was soll sein wegen Tschernobyl?« Franz starrte auf Jochen hinab.
»Der Fisch ist wegen der Radioaktivität mutiert. Mein Vater hat gesagt, dass man keine Pilze mehr essen darf. Das ist gefährlich.«
»Und was meinst du, wie viele Pilze so ein Fisch im Goldbach findet? Wachsen die jetzt neuerdings unter Wasser, oder was?« Franz tippte sich gegen die Stirn, auch wenn er dafür den Daumen vom Hosenbund nehmen musste.
»Es muss ja kein Pilz gewesen sein«, überlegte Alex. Ihm hatte der Unfall in dem Kernkraftwerk im vergangenen April Angst gemacht, die Bilder im Fernsehen und die Geschichten, die überall erzählt wurden. »Wer weiß schon, was bei dem Super-GAU sonst noch alles verseucht wurde.«
»Die Flossen sind doch egal«, flüsterte Simone. »Was ist das für ein Vieh, das einen Fisch derart zerfetzt und ihn dann liegen lässt, ohne ihn zu fressen?«
Die Jungen starrten sie an, dann wieder den Fisch.
Eine Katze tat so etwas sicher nicht, dachte Alex, vielleicht ein tollwütiger Hund oder Fuchs. Aber wie sollte ein Hund einen Fisch fangen? Erneut sah er Simone an und hatte das Gefühl, sie würde gar nicht auf eine Antwort warten.
»Es gibt Spinner, die halten sich Krokodile daheim«, sagte Jochen. »Und wenn sie keinen Bock mehr haben, spülen sie sie im Klo runter, und die leben dann in der Kanalisation weiter. Vielleicht ist von dort eins entkommen?«
»Quatsch!« Franz schüttelte den Kopf. »Der ist wahrscheinlich nur in irgendeine Turbine geraten und wurde hier an Land gespült.«
»Ja klar, und den letzten halben Meter vom Wasser bis hier hat er sich hergeschleppt, obwohl er keine Beine hat und tot war. Voll der Zombiefisch.« Jochen erhob sich und schüttelte den Kopf.
»Du glaubst doch, er hat Flügel. Dann ist er halt geflogen!« Franz starrte Jochen an.
Alex hörte den beiden nur halb zu, er beobachtete Simone, die immer noch vor dem Fisch kauerte und sacht den Kopf schüttelte.
»Weißt du, was es war?«, fragte er ruhig und kniete sich vor sie hin.
Simone hörte auf, den Kopf zu schütteln, und wandte sich ihm zu. Noch immer wirkte sie verstört, aber Alex hatte jetzt das Gefühl, dass sie ihn wirklich ansah.
»Ich weiß nicht, vielleicht ... Aber das kann eigentlich nicht sein.«
»Und wenn es eine Bisamratte war, die lauter Tschernobylpilze gefressen hat?«, rief Jochen, und Franz entgegnete: »So ein Stuss. Fragen wir lieber mal den Bernd, der ballert doch dauernd mit der Steinschleuder auf Fische.«
»Was war es?«, fragte Alex und versuchte, seine immer lauter werdenden Freunde zu überhören.
»Kalle ...«, fing Simone an, dann schüttelte sie den Kopf und kaute auf der Unterlippe herum.
»Dein Bruder?« Alex hatte zwar noch nie gehört, dass er auch ein Tierquäler war, aber zutrauen würde er es ihm.
»Nein.« Simone verzog das Gesicht und lachte plötzlich los. »Idiot.«
Jochen und Franz verstummten und sahen zu ihnen herunter.
»Was ist dann mit Kalle?«, hakte Alex nach.
»Er ...« Sie zögerte kurz und atmete durch. »Kalle hat irgendein Tier gefangen, ein ganz komisches. Ich hab gehört, wie er zum Hubi gesagt hat, dass er so etwas noch nie gesehen hat. Er hat es Kreatur genannt.«
»Und wie sieht dieses Vieh aus?«, fragte Franz.
»Ich weiß es nicht, ich hab es doch nicht gesehen. Mir zeigt er so was ja nicht, ich bin nur die doofe kleine Schwester.«
»Dann geh doch einfach in sein Zimmer, wenn er nicht da ist.«
»Nein!« Heftig schüttelte sie den Kopf. »Es ist doch nicht in seinem Zimmer. Es ist viel zu groß, um es da zu verstecken. Es ist in der Scheune, auf der Wiese beim Wald.«
»Dann lass uns da nachschauen!«, rief Franz begeistert. Auch Jochen und Alex nickten.
»Nein! Bloß nicht! Wenn Kalle uns erwischt, bringt er uns um!« Simone sah sie furchtsam an. Wahrscheinlich bereute sie inzwischen, ihnen davon erzählt zu haben. »Außerdem hat er es schon vor ein paar Tagen gefangen, es hat also sicher nicht den Fisch auf dem Gewissen.«
Franz lachte. »Der Fisch ist mir doch egal. Ich will dieses Ding sehen, diese Kreatur.«
»Aber Kalle prügelt uns windelweich!«
»Wir dürfen uns halt nicht erwischen lassen.« Er zuckte mit den Schultern. Alex wusste, dass er regelmäßig von seinem Vater
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