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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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ihm lief Simone und murmelte vor sich hin.
    »Wenn Kalle das rausfindet, bringt er mich um.« Aber sie schlug nicht vor, umzukehren.
    Vor dem Tor sahen sie sich um, weit und breit war niemand zu sehen.
    »Psst«, zischte Jochen, obwohl keiner etwas gesagt hatte. Er legte das Ohr an die Ritze zwischen zwei Brettern und lauschte. Alex hielt die Luft an, er konnte nichts hören, und auch Jochen schüttelte den Kopf.
    »Dann also rein«, drängte Franz und drückte die Klinke runter. Langsam zog er das Tor nach außen auf, nur einen Spaltbreit. Die Scharniere quietschten nicht. Franz schlüpfte hinein, Jochen folgte ihm sofort, Simone zögernd und Alex dicht hinter ihr, so dicht, dass er sie fast berührte.
    »Mach zu, es soll keiner sehen, dass jemand hier ist«, zischte Jochen, und Alex zog das schiefe Tor ins Schloss. Nun drang nur noch durch zwei kleine Fensteröffnungen knapp unter dem Dach Licht, und durch die wenigen schmalen Spalten zwischen manchen Wandbrettern. Alex brauchte einen Moment, bis er in dem diffusen Halbdunkel mehr erkennen konnte. Da es draußen noch hell war, hatten sie natürlich keine Taschenlampen eingesteckt.
    Die Scheune bestand aus einem großen Raum, in dessen hinterer Hälfte auf etwa drei Meter Höhe ein Boden aus klobigen Balken und breiten Dielen eingezogen war, zu dem eine krumme Holzleiter hinaufführte. Oben wie unten stapelte sich Heu, im Eingangsbereich stand ein mattroter Heuwender, dessen Doppelzinken verdreckt waren, und an den Wänden hingen verschiedene Gerätschaften: Heugabeln, breite Rechen mit langen gebogenen Zinken und ein alter Spaten.
    Nichts Auffälliges war zu sehen, und doch war Alex angespannt. Fast erwartete er, dass Kalle jeden Moment das Scheunentor eintreten und mit seiner Bande hereinstürmen würde, um sie alle krankenhausreif zu schlagen. Er hatte Angst, und darüber war er sauer. Die feige Brillenschlange, die aufs Gymnasium ging - das wollte er nicht sein.
    »Und? Wo ist es jetzt?«, raunte Franz so leise, als hätte auch er Angst, erwischt zu werden.
    »Ich weiß nicht.« Simones Stimme zitterte.
    Was war mit ihnen los? Von Kalle war doch weit und breit keine Spur zu sehen.
    Die Luft in der Scheune war drückend und schwer, die Sonne hatte sie den ganzen Tag aufgeheizt. Es roch nach Heu, und doch musste Alex an das Raubkatzenhaus im Zoo denken.
    »Es muss irgendwo sein, wo deine Eltern es nicht sofort sehen«, flüsterte Jochen. »Auf dem Boden oder hinter dem Heu.«
    Auf einmal hörte Alex ein leises, gedämpftes Kratzen. »Ruhig!«, sagte er.
    Franz lief zur Leiter hinüber. »Das kam von oben.«
    Aber Alex schüttelte den Kopf. »Nein. Von da hinten.«
    Hektisch blickte Simone hin und her. »Ich hab nichts gehört.«
    Nur Jochen sagte gar nichts, sondern stapfte einfach zu dem schmalen Zwischenraum zwischen dem gestapelten Heu und der Wand hinüber. Franz sprang von der Leiter und folgte ihm, er wollte auf keinen Fall etwas verpassen, und Simone und Alex ging es ebenso. Alle Angst vor Kalle war plötzlich der Neugier auf die Kreatur gewichen.
    Der Raum zwischen Heu und Wand war schmal, so schmal, dass Erwachsene ihn gar nicht als Zwischenraum erkannt hätten, die vier mussten sich seitwärts an den Brettern entlangschieben. Nach drei oder vier Metern öffnete sich vor ihnen eine Art kleine Höhle. Kalle und seine Bande hatten hier irgendwie einige Heuballen herausgeschafft, so dass eine etwa drei Meter durchmessende Fläche frei war, spärlich beleuchtet durch zwei, drei Ritzen in der Wand und eine Handvoll Astlöcher.
    Direkt an der hinteren Wand stand eine alte, vielleicht zwei Meter lange und ein Meter hohe Saukiste, deren Bretter mit alten rostigen Eisenstreben verstärkt worden waren. Breite metallische Winkel waren an die hölzernen Kanten genagelt worden, als könnten einfache Holzverstrebungen kein Schwein halten. Alex hatte noch nie gesehen, dass jemand tatsächlich ein Tier in einer solchen Kiste transportierte.
    In der Saukiste kauerte etwas, das die Bezeichnung Kreatur wirklich verdiente. Ein etwa dachsgroßes Wesen, schwarz wie Torf und mit schmalen weißen Augen, dessen Körper mit kurzen Borsten übersät war und dennoch fast nackt wirkte, wie ein Schwein. Doch es war kein Schwein, hatte nicht einmal Ähnlichkeit mit einem, sondern schien eine bizarre Mischung aus Affe, Schäferhund und Maulwurf zu sein. Das Maul oder die Schnauze war in der Düsternis nicht auszumachen. Es regte sich nicht, nur der Blick der schmalen Augen schien

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